Wie versprochen an dieser Stelle das Interview mit Tebis Nador. Unregelmäßigen Bloglesern sei jedoch zu Beginn die Lektüre des
Vorgängerartikels empfohlen. Wir lernen einen Mann kennen, der sich recht einsilbig gibt, sich von Zeit zu Zeit in Widersprüche verstrickt und im Laufe des Gesprächs sehr vorsichtig wirkt. Außerdem bitte ich, besonderes Augenmerk auf meine beinahe Columbohafte Gesprächsführung am Ende zu legen. Doch lesen Sie selbst.
Hallo Herr Nador.
Hallo Herr Rupert.
Ich habe meinen Lesern gestern schon ein wenig die Thematik geschildert. Ich würde es dennoch schön finden, wenn Sie zur Einführung noch einmal kurz beschreiben würden, was genau Sie gemacht haben.
Bei dem Projekt Tebis 100 handelt es sich um die Beantwortung der interessanten Frage: Wie reagieren Studentinnen, wenn ihnen im StudiVZ eine fremde Person die Freundschaft anbietet? Entsprechend exakt war die Durchführung: Blonde und gut aussehende Studentinnen die virtuelle Freundschaft anbieten.
Und wo genau lag Ihre Motivation für dieses Projekt? Gibt es dazu eine Geschichte, einen Vorfall, eine Wette?
Die Motivation war reines Interesse am Verhalten junger Studentinnen in einer social software.
Aber wie sind Sie auf eben diese Frage gekommen? Man wacht ja nicht morgens auf und beginnt sich für das Verhalten junger Studentinnen in einer social software zu interessieren.
Doch, so ähnlich trug es sich zu. Hinzu kam, dass ich mir durch den Zufall ausgewählte Profile anschaue und herausfinden wollte, ob die jungen Frauen im Web 2.0 anders reagieren als auf der Straße 1.0.
Warum Frauen? Es hätten sich doch ebenso gut auch Männer in der Zielgruppe befinden können.
Tebis100 ist ja erst der Anfang einer langen Forschungsreihe, die in Zusammenarbeit mit dem Institut für Experimentelle Psychologie der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf durchgeführt wird. Im späteren Verlauf könnte die Zielgruppe um Männer erweitert werden.
Wenn Sie dies als eine Forschungsreihe beschreiben, dann haben Sie auch eine Vergleichsstichprobe gemacht?
Nein.
Inwiefern wollen Sie dann einen Vergleich zu, wie Sie es nennen "Straße 1.0" ziehen?
Der Vergleich lässt sich aufgrund meiner 22-jährigen Straßen Erfahrung ziehen. Dort sind unsere Mitmenschen weitaus differenzierter als sie es in der sicheren Umgebung des Internets sind.
Zu welchen Ergebnissen kommen Sie denn?
Das Ergebnis von Tebis100 habe ich selbst nicht für möglich gehalten. Bereits nach wenigen Tagen waren auf meiner Freundesliste über 50 Namen. Das zeigt doch ganz klar, dass die Zutraulichkeit unter Menschen steigt, je digitaler deren Kommunikation und Umgebung ist.
Nun, die Umgebung dürfte ja noch immer vertraut sein. Sie führen den Zugewinn an Zutraulichkeit, wie Sie sagen, also auf das Medium zurück?
Selbstverständlich. Trotz der realen Namen und Profile im Verzeichnis ist jeder doch ein Stück weit anonym. Je anonymer, desto offner ist man für Sachen, die eventuell auch nach hinten losgehen können. Und so ist es ja mit einer Freundschaft auch. Der Vorteil der digitalen Welt: Man drückt einfach auf "Freundschaft beenden" und schon ist die nicht mehr existent.
Also stehen Sie einer "digitalen Freundschaft" kritisch gegenüber?
Nicht unbedingt. Zwar kann diese nie so intensiv sein, wie eine echte, doch übernimmt die "digitale Freundschaft" heutzutage oft eine Türöffnerfunktion für eine echte.
Sie geben also echter Freundschaft noch eine Chance?
Natürlich. Ich habe nie daran gezweifelt.
Wie genau sind Sie bei "Tebis 100" vorgegangen? Bitte erläutern Sie den Prozess kurz für Leser, die sich mit der Materie nicht auskennen.
StudiVZ bietet jedem die Möglichkeit sich selbst in Form eines Profils und einem Foto darzustellen. In einem zweiten Schritt werden diese Profile, im Normalfall anhand von echten Freund- und Bekanntschaften, vernetzt. Der umher irrende Surfer kann also sehen, mit wem welche Person befreundet oder bekannt ist. Dem entsprechend legte ich auch ein Profil an und begann damit mein Profil mit anderen zu verknüpfen. Dies bedarf jedoch der Zustimmung des jeweils anderen Teilnehmers.
Hatten Sie vor der "Verknüpfung" mit anderen Profilen bereits Kontakt mit deren Eignern?
Nein. Dies geschah stets initiativ von meiner Seite aus.
Wie waren die Reaktionen? Da wird ja noch etwas anderes gekommen sein, außer Ablehnungen und Annahmen.
Die häufigste Reaktion war die Nachricht: "kennen wir uns?", woraufhin ich antworte, dass dies nicht der Fall ist. Interessanterweise war in vielen Fällen die Freundschaft bereits akzeptiert worden.
Und außer diesem "kennen wir uns?" war da nichts?
In der sehr wenigen Fällen wurde ich darauf aufmerksam gemacht, wie es denn sein könnte, dass ich "an jeder Uni in Deutschland eine kenne". Auch darauf wurde ehrlich geantwortet. Einige andere fanden es lustig und interessant zugleich und wollten mehr über mich wissen. So kommt man natürlich auch ins Gespräch...
Sie haben also auch Bekanntschaften gemacht?
Es wurden viele Worte gewechselt. Smalltalk, wie man ihn kennt. Nur in einem Fall wurde es ein Longtalk.
Man muss also nur eine gewisse Menge Menschen ansprechen, um in Einzelfällen - nennen wir es - Erfolg zu haben?
Die Menschen wurden ja auf keine Weise angesprochen, die besonders kreativ ist. Zudem fand das Versenden und Beantworten der Nachrichten stets gleichzeitig statt. Daher fehlte auch die Energie, um - wie Sie es nennen - Erfolg zu haben. Aus diesem Grund würde ich nicht sagen, dass es einer großen Menge bedarf. Es bedarf sicherlich mehr Zuwendung.
Ist das etwas, was wir aus Ihrem Projekt lernen können?
Ganz bestimmt.
Wie sah es denn - ganz allgemein - mit den Rücklaufquoten aus. Will sagen: Wie viele Freundschaftseinladungen haben Sie verschickt, bis sie die Einhundert voll hatten?
Ich habe nicht gezählt. Das Verhältnis schätze ich auf etwa 1:3.
Was haben Sie persönlich aus ihren Erfahrungen der letzten Wochen gelernt haben. Anders gefragt: Was ist die Moral Ihres Projektes?
Es ist schwierig bei diesem Projekt über Moral zu sprechen. Schließlich halte ich es weder für verwerflich, eine Freundschaft zu einer unbekannten Person anzunehmen, noch sie abzulehnen oder zu ignorieren. Das Internet ist eben ein direkteres Medium, obgleich es weitaus indirekter stattfindet.
War es also ein Nebenziel Ihrer Untersuchungen, den Menschen, oder gar dem Internet einen Spiegel vorzuhalten um auf diese Weise Strukturen und Verhaltensweisen aufzuzeigen und zu deuten?
So hoch möchte ich das Projekt nicht hängen. Auch die Verhaltensweisen innerhalb von social software möchte ich weder loben noch anprangern. Jedoch betrachte ich es für interessant, wie Menschen innerhalb von social software agieren und reagieren.
Dann ist Ihr Projekt also bis auf das Betrachten von Aktionen vollkommen sinnbefreit?
Vollkommen nicht, aber die Ergebnisse sind weder repräsentativ, noch relevant genug.
Dann verstehe Ich den Sinn ihrer Untersuchungen nicht ganz.
Der Sinn war ja auch nur die Beantwortung der zu Beginn gestellten Frage: Wie reagieren Studentinnen, wenn ihnen im StudiVZ eine fremde Person die Freundschaft anbietet? Das Ergebnis: Ein großer Teil nimmt die Freundschaft an.
Wo werden Sie Ihre Ergebnis publizieren?
Es freut mich, dass Sie darüber berichten. Ihre Blog page impressions reichen für die Relevanz der gewonnenen Erkenntnis grade so aus.
Wie schön, dass ich diese Geschichte exklusiv von Ihnen bekomme. Bevor wir nun aber auseinander gehen, habe ich noch zwei Dinge, auf die ich mir nicht recht einen Reim machen kann. Ich verstehe noch nicht ganz, warum die Zielgruppe ausschließlich "blond und gut aussehend" sein musste. Wo liegt da der Vorteil?
Sind wir doch mal ehrlich: Zum Versenden der Bitte auf Freundschaft muss das Profil aufgerufen werden, auf dem sich auch an prominenter Position das Foto der Person befindet. Und wir betrachten doch alle gerne schöne Frauen. "Blond" ist ganz subjektiv.
Dann entstand dieses Auswahlkriterium also aus persönlicher Präferenz?
Lediglich diese haben persönlichen Bezug.
Das Urteil über die wissenschaftliche Gewissenhaftigkeit dieser persönlichen Note überlasse ich an dieser Stelle anderen. Herr Nador, abschließend noch eine Frage. Wie ich in der Zwischenzeit recherchiert habe, bietet die Heinrich Heine Universität Düsseldorf nur ein Institut in experimenteller Psychologie an: Das Institut für Experimentelle Biologische Psychologie beschäftigt sich aber mit dem Sehsystem des Menschen und der Suche nach einem neuronalen Korrelat des Bewusstseins. Wie passt Ihre Studie da hinein?
Die Untersuchung findet auch hier ihren Platz. Schließlich finden bei der Bestätigung der Freundschaft Gehirnaktivitäten statt, welche mit den Bewussteinsprozessen einhergehen. Die mentalen und neuronalen Strukturen bilden somit die Basis für ein Forschungsprogramm, welches im Rahmen der cartesianischen Metaphysik sehr sinnvoll, da Descartes stets von einem immateriellen Geist ausging. In der heutigen Zeit ist daher zu erforschen, ob es einen digitalen Geist, bestehend aus 1001101 gibt. Versuche, die bereits Franz Josef Gall unternahm, schlugen bislang immer Fehl. Dank StudiVZ können diese Forschungen neu aufgenommen und mit Hilfe modernster Servertechnologie weitergeführt werden. Ein Hoch auf StudiVZ!
Na und Sie behaupten, dass ihre Forschungen keinen tieferen Sinn haben? Warum so bescheiden, Herr Nador?
Ungelegte Eier hängt man schließlich nicht an den Kirchturm.
Ein schönes Schlusswort, wie ich finde.
Da stimme ich Ihnen zu.
Verraten sie uns doch nur kurz, was Ihre nächsten Projekte zum Thema haben.
Gerne greife ich an dieser Stelle das eigentliche Schlusswort auf: Unbefruchtete Eier hängt man nicht an den Kirchturm.
Dann freue ich mich, schon bald wieder von Ihnen zu hören und danke für das Gespräch.
Ich danke Ihnen auch, Herr Rupert.
Nachtrag vom 21. Oktober:Nachdem die ganze Sache
hier nun weitaus höhere Wellen geschlagen hat, als irgendwer von uns beiden auch nur im Traum gedacht hat, wurde ich von Tebis gebeten, folgende
Gegendarstellung zu veröffentlichen, um auf diese Weise Missverständnissen vorzubeugen. Es spricht zu Ihnen, zu Euch, Tebis Nador:
Das Projekt Tebis100 wurde ausschließlich von Tebis Nador konzipiert und durchgeführt. Tebis100 steht nicht, wie im Interview behauptet, in Zusammenhang mit dem Institut für Experimentelle Psychologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Tebis Nador entschuldigt sich für die entstandenen Verwirrungen.