Donnerstag, September 14, 2006

Homerun

Einfache Pläne sind die besten Pläne und auch die, an die man sich mit der größten Wahrscheinlichkeit hält. Das gilt wenigstens für mich. Es darf keine Wenn-dann-Bedingung eingebaut sein – nicht mal die Kleinste. Kein Kompromiss, den mein Faulheitszentrum im Gehirn nicht ausnutzen würde. Denn das würde es tun. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

So war der Plan des heutigen Tages ein ebenso einfacher, wie genialer Schachzug, um mich von den Gedanken an verschwendete Tage und Lebenszeit zu befreien: Ich würde von Vodafone bis zur Wohnung laufen. Die Strecke, für die die „Öffis“, wie ich sie liebevoll nenne, eine halbe bis dreiviertel Stunde brauchen, einmal auf Schusters Rappen zurücklegen, geschätzte 12 Kilometer per pedes.

Ich verlasse den Büroturm, der einmal ein Hotel werden sollte, gegen sechs Uhr. Die Sonne steht tief, ist aber noch immer warm genug, mir den Schweiß auf die Stirn zu treiben. Ich befinde, die Straßenbahnstrecke zu laufen, denn so ist die Gefahr des Verlaufens am geringsten und die Gesamtmission am wenigsten gefährdet. Außerdem ist es sicher interessant, den täglichen Weg einmal in entschleunigter Variante zu begehen.

Hier ist kein Mensch. Ich habe die Allee für mich alleine. Ab und zu rauscht eine vollbesetzte Straßenbahn vorbei, deren Insassen mich neidisch anblicken. Ich freue mich über das gute Wetter und den Geruch, der mich an Aufenthalte bei meiner Großmutter in Kindertagen erinnert, dessen Beschreibung an dieser Stelle aber zu komplex ist.

Mitten im Industriegebiet sitzt ein Steinbuddha, dessen Anwesenheit mich stutzig macht, ist er doch mindestens vier Meter groß und – wenn massiv – recht schwer. Ich bemerke im vorbeigehen, dass er Werbung für einen Gartenzubehörladen macht. Na, wenn Buddha wüsste...naja...Blitze schmeißen ist ja nicht sein Stil...

Am Belsenplatz kommen die Menschen ins Spiel. Man schaut mich misstrauisch an, als sei mein T-Shirt mit einem Satz wie „Die Kamera ist eine Waffe und der Rucksack ein Bombe“ bedruckt. Das ist es selbstverständlich nicht, aber ein Teleobjektiv vermag es scheinbar, Blicke auf sich zu lenken.

Der Rhein und seine Brücken können mich nicht beeindrucken. Anders ist das wohl bei einem Hobbyfotografen, der sich beinahe umbringt, als er mit seiner kleinen Medionkamera über die Straße rennt. Dann ist da noch der bärtige Filmemacher, dessen Werk ich nicht sehen möchte, weil ich nicht vor Langeweile sterben will: Er filmt geschlagene fünf Minuten das andere Rheinufer.

In der Altstadt spielen Hunderte sehen und gesehen werden. Die Voyeure sitzen so, dass sie den Mittelgang gut im Blick haben, die Selbstdarsteller flanieren über Kopfsteinpflaster. Ich drängele, weiche aus, schiebe mich vorbei. Mittlerweile bin ich ordentlich ins Schwitzen gekommen, denn die Fotoausrüstung auf dem Rücken und die Kamera in der Hand tun ihr Übriges zu den hohen Temperaturen.

Auf einer Brücke findet ein Fotoshooting statt. Eine Fotografin, die mit sich ihrer Ausrüstung meines Neides gewiss sein kann, gibt letzte Anweisungen an ein wohl nicht ganz so professionelles Model. Ich mache den jungen Mann auch zu meinem Model – ohne dass er es merkt.

Die Sonne geht langsam unter, aber kühler wird es nicht. Der Geruch hat sich geändert. Jetzt ist es diese typische süß-säuerliche Note, die mittlerweile meiner Kleidung anhaftet und die ich sicher Zeit meines Lebens mit dieser Stadt in Verbindung bringen werde. Der Düsseldorfmief. Ich kann nicht sagen, was es ist und ich möchte es auch eigentlich gar nicht wissen.

Ohne genaue Orientierung laufe ich den richtigen Weg. Ich erkenne Straßenzüge, die ich bislang nur hinter Glas wahrnahm und freue mich, dass ich mich nicht verlaufen habe.

Es wird mittlerweile zunehmend dunkel und als ich an eine Tankstelle komme reicht das Licht gerade noch für Fotos. Die Dame mit dem roten Clio schaut verdutzt, doch ich lasse mich nicht aufhalten.

Dort ist die Haltestelle, an der ich normalerweise umsteige. Der Ort sieht aus der Ferne betrachtet komplett anders aus, in jedem Fall aber kleiner und unwichtiger – nicht mehr der große S-Bahnhof, an dem man das Verkehrsmittel wechselt. Neue Perspektiven sind spitze.

Spärlich besetzte Züge scheppern an mir vorbei und die Innenbeleuchtung präsentiert die wenigen Insassen wie in der Frischwarenabteilung eines Supermarktes. Ich freue mich, nicht gefahren zu sein.

Die Frau, die den Kopf so seltsam schräg hält, führt laute Selbstgespräche und ich weiche dem Blick ihrer suchenden Augen aus. Hinschauen oder ignorieren? Diesmal ignorieren.

Dunkelheit greift weiter um sich und die letzte Kreuzung ist erreicht. Noch einen Kilometer – vielleicht. Unter meinem Rucksack ist das T-Shirt mittlerweile pitschnass und ich bin froh, dass es schwarz ist und hoffe außerdem, dass man den Unterschied bei diesen Lichtverhältnissen nicht sehen kann.

Kurz bevor ich meine Endhaltestelle erreiche, braust eine S-Bahn heran und spuckt eine Handvoll Leute aus, die sich schnell verteilen und zu ihren Wohnungen hasten. So sieht das also aus. Perspektivwechsel sind super – wie gesagt.

Ich schlendere hintendrein und zum ersten Mal in zwei Monaten habe ich wirklich Hunger. Mittlerweile ist es acht Uhr und ich habe binnen zwei Stunden in zügigen Schritten halb Düsseldorf durchmessen.

Die Tür zu und der Kühlschrank auf. Nie haben Wurst- und Käsebrote besser geschmeckt als heute.


Elliott Smith - Son Of Sam

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