Donnerstag, September 07, 2006

Sonntag

Im ersten Teil des Sonntages spiegelt sich die verzerrte Fratze des Samstages. Vater fährt mich gegen Abend nach Düsseldorf, weil er nett ist und der Sprit nichts kostet. Die Themen sind Wiederholungen der Hinfahrt. Alter, Tod und Geld. Dazu passt, dass es in Strömen regnet und ich auf den Moment warte, in dem der Wagen aufschwimmt und allerlei Warnleuchten darauf hinweisen, dass man nun in anderthalb Tonnen unkontrollierbarem Blech sitzt.

Zurück in der Kaserne im Wohnheim treffe ich Vorbereitungen für den Abend, sogar eine Karte packe ich peniblerweise ein, um nächtlichem Herumirren vorzubeugen. Grund dieser Vorbereitungen sind Pale, die am Abend im Zakk spielen werden.

Als ich die Straßenbahn verlasse und in Richtung des Veranstaltungsortes schreite, ruft Jonas (Name von der Redaktion erfunden) mir nach. Jonas ist ein hochgeschossener Schlacks mit Wuschelhaar und sorgsam zusammengesuchten Kleidungsstücken, die im Allgemeinen wohl unter der Bezeichnung „alternativ“ verkauft werden. Er erkundigt sich, ob die Band im kleinen oder im großen Saal spielen wird. Davon habe ich selbstverständlich keine Ahnung, dennoch stolpern wir durch ein Gespräch. Jonas ist wohl wesentlich jünger als ich dachte, er will Schule fertig machen und dann raus aus Düsseldorf, was ihm zu spießig ist. Als er fragt, ob man in meiner Heimat gut einkaufen kann, bemerke ich ein weiteres Mal mein allgemeines Kommunikationsdefizit, denn ich befremde ihn nur unnötig mit der Aussage, das letzte Mal vor einem Jahr Kleidung gekauft zu haben. Er schweigt mich zum wiederholten Male an und ist sichtlich erleichtert, als seine Freunde eintreffen und er sich von mir entfernt.

Diese Unmöglichkeit des Gesprächs zieht sich durch die letzten Monate wie eine klebrige, zähe Masse. Immer wenn Andere reden, interessiere ich mich nicht genug für Themen, um nachzufragen, zu kommentieren, Begeisterung zu zeigen oder auch nur zu heucheln. Das mag an den Themen liegen, muss es aber nicht. Umgekehrt begegnet mir, so ich etwas erzähle, von allen Seiten schweigen, was wiederum dazu führt, dass ich meine alte Einstellung wieder einnehme, lieber nichts zu sagen, bevor ich etwas sinnloses oder dummes sage. Das gilt in der Hauptsache im Praktikum, wird aber in den Alltag übernommen. Man hält mich also für einen Schweiger.

„Du sagst ja gar nichts.“
- „Oh. Naja, bei einigen Themen möchte ich mich im Moment lieber nicht einbringen.“
Auf mein Praktikumszeugnis bin ich gespannt.

Ich erinnere mich an den Geburtstag einer Bekannten, wo ich – ich muss siebzehn gewesen sein – einen ganzen Abend auf einer Party verbrachte, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Ein soziales Experiment, welches am Ende nur befremdete und deprimierte. Ich wurde zum Mann, der nicht da war, ich wurde zum Geist.

Und genau der wäre ich auch jetzt wieder gern. Ein Geist. Die eine Sache, die schlimmer ist, als allein auf ein Konzert zu gehen, ist, allein auf ein Konzert zu gehen und viel zu früh zu kommen. Ich drücke mich an Wänden herum, probiere Sitzgelegenheiten, gebe vor, Plakate zu lesen und starre ins Leere oder auf Menschen. Der Zweihundertmeterblick, der zumeist als traurig oder ernst ausgelegt wird – man wird tatsächlich darauf angesprochen. Die Zeit kriecht.

Die Vorband mag ich anfangs gern, dann nervt sie jedoch schnell, weil sie ein und dasselbe Lied in zigfacher Wiederholung zu spielen scheint. Pale hingegen machen Spaß. Ich finde toll, wie sich der Sänger bewegt und humorvolle Beiträge zwischendurch runden die Sache ab. Ich lehne eng an einem Pfeiler, um mein geschundenes rechtes Ohr nicht mit voller Musiklast zu befeuern, denn es piept ohnehin noch genug von Freitag.

Als bei einem langsamen Song die Diskokugel die Projektion einer imaginären Explosion ihrer selbst in den Raum wirft, bin ich – trotz aufleuchtendem Kitschalarm – schlicht begeistert. Ich denke seltsamerweise an Cape Canaveral, verschobene Starts und verglühende Fähren. Ich ziehe Parallelen zu mir, dem Leben und mag mich in diesem Moment selbst für meine Gedanken.

Ich breche noch vor der Zugabe auf, denn Bahnen warten nicht. Die Funken, die der Stromabnehmer bei Kontaktwechseln wirft, sind nur ein kleines, sichtbares Zeugnis der Energie, die in der Luft liegt. Nach einer halbstündigen Fahrt quer durch die Stadt laufe, renne und tanze ich in mein Zimmer.

Ende des Subjektivwochenendprojektes. Weiter im normalen Betrieb.

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