Trauma
Sie waren so pünktlich, dass es mich anwiderte. Halb zwölf war die Zeit der Zärtlichkeit. Nebenan. Zimmer 138. Meine Nachbarin, die ich noch bis vor kurzem für englischsprachig hielt, war Spanierin. Wenigstens riet ich das anhand der Klänge und Stimmen, die von Zeit zu Zeit den Weg in meinen Raum fanden. Der Zischlaute von sich gebende Unsympath schien also mittlerweile am Ziel seiner Träume angekommen und präsentierte das Ereignis in Stereo.
Die Tatsache, dass die Zimmer scheinbar spiegelverkehrt eingerichtet, also ihr Bett nur durch eine Wand von meinem getrennt war, machte es nicht unbedingt besser. Es folgte das allabendliche Ritual. Erst schrien beide sich an. Wenigstens schien es so. Sie redeten jedenfalls ungemein laut. Ich verstand nicht, was sie sagten, denn die Wand machte aus brüchigem Englisch einen einzigen Klangbrei. Danach wurden sie ruhiger, bis schließlich das Pochen anfing. Das Pochen war das Bett, das vor die Wand und wieder zurückgerammt wurde. Das Pochen war aber auch alles, was man hören konnte. Sonst blieb es ruhig. Dieses Metronom der Liebe schlug etwa für drei Minuten, bevor es verstummte, ich Schritte vernahm und der Wasserhahn aufgedreht wurde. Die Minuten der Einheit endeten mit dem Fortwaschen der Beweise.
„Mach die Musik aus, Alter!“
- „Musik? Ist doch schon aus!“
Er war etwa einen Kopf kleiner als ich. Dafür beinahe doppelt so breit. Dort wo bei mir glatte Haut war, hatte er überall Sehnen und Adern, die aus seinen zugegebenermaßen beeindruckenden Oberarmen eine Landkarte machten.
„Ey, wenn du noch einmal die Scheißmusik anmachst…“
- „Hey, ganz ruhig. Entspann dich mal. Immerhin warst du ja grad eben auch kurz davor.“
Er verstand nicht. Englisch kannste nicht, aber Muckibude, dachte ich.
„Was willst’n damit sagen?“
- „Du kannst mir jetzt nicht sagen, das du davon ausgehst, dass ich euch nicht höre, da drüben.“
„Was hörst du denn, hä?“
-„Na, wenn ihr da so euren Spaß habt, halt.“
„Alter, was geht denn bei dir? Hörst du mir und meiner Freundin etwa beim ficken zu?“
Das aufgestaute Testosteron machte aus ihm einen Löwen.
„Ich hör euch nicht zu. Ich hör es halt einfach, okay?“
Mir fiel nicht ein, meine musikalische Abwehrmaßnahme gegen diese Anklage vorzubringen.
„Alter, bist du pervers?“
Er tat einen Schritt auf mich zu und drückte mit dem Knie nun leicht gegen die Tür, so dass ich sie nicht schließen konnte.
„Ich bin nicht pervers. Ich will euch doch gar nicht hören!“
Die letzten Worte waren sehr laut gesprochen und ich drückte die Tür zu. Damit tat ich ihm jedoch einen Gefallen, indem ich ihm einen Grund gab, anzufangen.
„Mein Knie Alter! Willst du mein Knie brechen?“
Konnten Knie brechen? Ja, ich will dir die Knie brechen.
„Nein, natürlich nicht.“
- „Was bist du denn für ein Spinner, Alter? Pervers und jetzt auch noch aggressiv! Wird mal Zeit, dass dir jemand…“
Er konnte seinen letzten, scheinbar aus Filmen gelernten Satz nicht zu Ende bringen, denn er warf sich mit vollem Körpergewicht gegen die noch immer spaltbreit geöffnete Tür.
„Scheiße!“
Das war alles. Scheiße. Er drehte sich um und verließ den Raum. Die Tür zog er zu.
3 Kommentare:
die perfekte kurzgeschichte vor dem einschlafen, finde ich.
weija, was hab ich gegrinst. zu erst. dann ging das nicht mehr. kein wunder. sehr sehr gut geschrieben herr rupert. ich haette gerne 1. hilfe geleistet.
keine lieben gruesse an den nachbarn also...
(http://www.lesungslabor.de/html/modules.php?name=News&file=article&sid=29)
nein. die sind nicht zu grüßen. passenderweise begrüßten sie mich bei meiner heimkehr mit chubawumbas song tubthumping.
I get knocked down
But I get up again
Youre never going to
Keep me down
meine nase blieb glücklicherweise heil. wobei ich sie mir im krankenhaus ja richtig super hätte hinbiegen lassen können.
schön:
"Der Autor ist auf einmal nicht mehr das, was er schreibt, er wird gesehen und gehört. Und während er seinem eigenen S-Fehler lauscht, während er die Speichelbläschen auf der Zunge zerplatzen hört und mit kieferorthopädischen Artikulationsschwierigkeiten ringt, wünscht sich so mancher Schriftsteller an seinen Schreibtisch zurück: zurück zu der entleibten Literaturvermittlung unserer medialen Welt, zurück zu einer quasi-telepathischen Verbindung mit seinen Lesern und der Gedankenübertragung durch das lautlos geschriebene Wort."
jetzt kühlschrank reinigen, später mehr.
ach...und danke.
wo sind bloß meine gedanken.
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