Freitag, August 18, 2006

Der dreckige Rest

Es hätte mir bereits auffallen müssen, als die Anzeige der U-Bahn Station nicht mit dem eintreffenden Zug übereinstimmte. Dennoch stieg ich ein.

Als die Ansage mit einem Mal anfing zu spinnen und Stationen fernab meines Weges prognostizierte und die Anzeige den Zug in eine andere Linie verwandelte, begann ich mich zu wundern. Als jede Menge Blaulicht im Fenster zu meiner Linken reflektierte, als die Köpfe der Mitfahrenden sich in militärischer Gleichzeitigkeit nach rechts wendeten, als dort auf einmal Gemurmel erklang, wo vorher nur Stille war, da sah ich nicht hin.

Die Stimme des Zugführers ließ erkennen, dass er es hasste, Ansagen zu machen. Um diese kam er nicht herum. Die knarrenden Lautsprecher berichteten, dass die Fahrt nicht wie gewohnt fortgesetzt, sondern bei der nächsten Haltestelle abgebogen werden müsse. Alles aussteigen, bitte.

Auf dem Bahnsteig würde es die rundliche Frau mit Rotkurzhaarschnitt in den Vierzigern als erste erfahren. Ihre eintreffende Freundin war ihr Äquivalent in blond. Sie rauchte.
Morgen.
- „Morgen.
Wie isses?
- „Naja, der Zug fährt nicht weiter und…
Die Blonde ließ sie nicht weiter sprechen. Stattdessen begann sie mit dem, auf was sie sich so lange gefreut hatte. Ihre Zigarette wippte in ihrem Mundwinkel, als sie sprach.
Nur weil so ein Dreckskerl zu dämlich ist, sich auf gescheite Weise umzubringen, stehste jetzt hier. Also ich mein…

Umgebracht? Hat sich da jemand umgebracht?
Die Blonde war sichtlich verärgert über die Unterbrechung, dann überwog ihr Mittelungsdrang und sie setzte fort.
Na klar. Wat denkst du denn? Weshalb steht da hinten alles voller Polizei und Feuerwehr? Die müssen nämlich noch die Scheißleiche entsorgen. Idiot, der!
Das Wort „Scheißleiche“ schrie sie noch lauter, als sie ohnehin schon sprach. Das dämonische Grinsen und der Rauch, der ihrem Mund entstieg, machten sie zur perfekten Botschafterin, die Gerüchte schneller streute als Krebs.

Als sie weitermachen wollte, wurde sie ein weiteres Mal gestört. Eine hagere Frau hatte sich bereits länger für das Gespräch interessiert, was nicht zuletzt an der Lautstärke der Blonden lag. Sie schaltete sich nun ein.

Was sagen sie, ist hier passiert?
Der Blonden missfiel es offenbar, dass aus ihrem Monolog nun ein Dialog werden sollte. Sie entschied, ihre zwei Minuten Ruhm in den noch jungen Tag zu retten.
Nichts!
Fauchte sie, blies der Hageren eine Lunge voll Rauch ins Gesicht, verabschiedete sich einsilbig von ihrer Freundin und ging. Es dauerte nicht einmal zehn Sekunden, bis eine Frau jüngeren Alters sich an die Rothaarige heranpirschte.
Hallo, ich hab grad eben nicht alles mitbekommen. Ich hab gehört, da hat sich einer umgebracht?

Nach zehn Minuten kam der nächste Zug.


Mogwai - Travel Is Dangerous

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