Mittwoch, Juli 19, 2006

Eine saubere Sache

Die kleinen noch halb feuchten Haufen liegen vor mir. Ich sortiere in „hängt die Nacht über besser noch übern Stuhl“ und „ab in den Schrank“. Der Abend war kein Spaß und fügt sich somit immerhin nahtlos in den restlichen Tag ein.

Frau Claßen war nicht da. Frau Claßen verkauft falsche Waschmarken und ist dann einfach nicht da. Der Mann hinter der Tür sieht verdächtig nach Hausmeister aus.
„Machen Sie grad zu?“
- „Nee, aber sie wollen zu Frau Claßen. Die ist nicht da.“
„Mh. Das ist dumm. Wann kommt sie wieder?“
- „Heute um…ähh…vier rum.“
„Da bin ich leider im Praktikum.“
- „Tja, kann man nix machen. Was wollen se denn?“
„Ich hab gestern Waschmarken gekauft. Dann hab ich festgestellt, dass die ja gar nicht passen. Da muss man mit Karte zahlen.“
- „Wo wohnen se denn?“
„Haus 11.“
- „Ah. Na. Ähh. Sie müssen natürlich schon auch sagen, wo sie wohnen.“
„Sollte Frau Claßen mich das nicht fragen? Immerhin kenne ich mich nicht aus und ging davon aus, dies sei die einzige Möglichkeit zu waschen. Jemandem Waschmarken für ein Wohnheim in Kilometerentfernung zu verkaufen macht doch eigentlich keinen Sinn…“
Ich war keineswegs unfreundlich, als ich das sagte. Schließlich konnte er ja nichts dafür. Generell bin ich aber viel zu selten unfreundlich. Das sollte ich ändern.
„Naja. Trotzdem nen schönen Tag.“
- „Ihnen auch.“

Es folgte ein Tag mit Aufgaben für 3 Köpfe und 4 Hände. Die Heimfahrt gegen halb sieben wurde dank Death Cab For Cutie die kleine Insel der vollkommenen Ruhe, was ein Widerspruch in sich ist.

Google findet den nächsten Waschsalon in fünf Kilometern Entfernung. Frau Claßen wird in nächster Zeit nicht für mich zu erreichen sein. Terminliche Überschneidungen, so nennt man das wohl.

Die Hitze hält sich bis in den Abend. Mit Reisetasche und Rucksack in der S-Bahn. Nein, ich habe nicht gekleckert. Das sind Schweißflecken, da auf dem T-Shirt.

Hier war ich noch nicht. Miese Gegend. Ich bin mir beinahe sicher, dass hier etwas geht. Junge, unansehnliche Damen stehen in knapper Kleidung regungslos am Straßenrand. Auf dem Schild in der Ferne steht „SB-Waschsalon“. Da will ich hin.

Der Kerl mit den zu Dreadlocks verfilzten Haaren steht teilnahmslos in der Ecke. Nach zehn Minuten geht er hinaus und kommt Minuten später mit glasigen Augen hinein, nimmt seine noch tropfende Wäsche aus der Maschine, dreht sie zu einem Ball, klemmt den unter den Arm und geht. Eine Socke löst sich aus dem Ball und fällt mit einem leisen „Patsch“ auf den Boden. Dort wo sie liegt bildet sich bald eine kleine Pfütze. Der Dreadlockmann geht weiter.

Die Frau in den Vierzigern faltet ihre Wäsche auf. Das tut sie sehr sorgsam und mit geschickter Hand. Die gleichen geschickten Hände verpacken die Wäsche in eine große Jutetasche. Daneben steht das Waschmittel, auf dem viele Logos versichern, dass man es auch an Säuglinge verfüttern könne, ohne großen Schaden anzurichten. Zu der Frau gehört Jonas. Jonas ist etwa sieben und tobt durch den Salon. Ich kenne seinen Namen, weil seine Mutter sich umdreht, als er gerade dabei ist, in eine Waschtrommel zu klettern, und leise sagt: „Jonas, bitte.“

„Hey, das Buch hab ich auch grad erst gelesen.“ Das Mädchen auf der Sitzreihe gegenüber hat die Beine übereinander geschlagen. Darauf ein Magazin, dessen Titel ich nicht zu entziffern vermag. Das schwarz weiß gestreifte Top sieht sehr nach H&M aus, steht ihr aber ungemein gut. Ein paar Strähnen des mittellangen, dunkelblonden Haares fallen in ihr Gesicht. Ich blicke vom Buch auf. Sie lächelt.
„Wehe, du verrätst das Ende.“
Ich grinse. Man kommt ins Gespräch.

Scheiße. Was bin ich naiv. Meine Vorstellungen eines Waschsalons, die ich allesamt aus trendigen Fernseh- oder Werbefilmen entliehen habe, greifen gründlich daneben. Das hier ist ganz anders. Keine lockere Atmosphäre, Dreadlockmänner, Hippiemütter, spontane Parties oder entspanntes Herumgehänge.

Der grau melierte Fußboden wirkt stumpf und an einigen Stellen sind Kanten aus den Fliesen gebrochen. Unter scharfen Rändern der Bruchstellen liegt der ebenso graue Estrich. Die Waschmaschinen sehen aus, als wären sie zu Zeiten des kalten Krieges in einem russischen Rüstungsunternehmen entworfen und gefertigt worden. „Miele“ steht dort in Buchstaben, die von weißen Waschpulversprenkeln bedeckt werden. An jeder zweiten Maschine hängt ein blauer Zettel, der dafür entschuldigt, dass diese Maschine leider momentan außer Betrieb ist. Deutsche Wertarbeit. Über allem thront ein Fernseher, der in einen weinrot gestrichenen Holzkasten eingebaut ist, damit niemand auf die Idee kommt, ihn mitzunehmen. Der Anreiz dazu ist allerdings gering, denn der Fernseher ist ausgeschaltet.

An der Wand hängen die gescheiterten Versuche, diesem Ort leben einzuhauchen. Wäsche. Gemalt auf Spanplatte. Wie passend. Sieht nach Kinderhand aus, ist aber signiert. F.S. 2001.

Der Colaautomat rechnet noch in Deutsche Mark und poltert laut, als ich dennoch die Frische der Ware teste. Neben dem Nichtraucheraufkleber, der scheinbar grundsätzlich missachtet wird, pappt ein Aufkleber am Automaten, auf dem ein regenbogenfarbenes, Rad schlagendes Männlein verkündet, dass 2002 das Jahr der Handwerkerinnung sei.

Am Eingang hängt ein Kasten, auf dem ein lachendes Gesicht fragt, ob man denn auch zufrieden war. „Lob und Tadel…damit wir unseren Service für Sie weiter verbessern können.“ Ich muss grinsen, denn mir fallen für einen kurzen Moment all die Bewertungsbögen ein, die ich früher mit meiner Schwester zusammen in den Dreisternehotels der Urlaube am Meer ausgefüllt habe. Kinderbetreuung bekam immer ein Kreuz auf dem Smiley mit dem breitesten lächeln. Sauberkeit eines auf dem Strichgesicht in der Mitte der Skala. Wir haben nie die traurigen Smileys angekreuzt. Dass ich viel zu nett bin, habe ich ja heute bereits erwähnt. Ich möchte auch jetzt gerne einen solchen Zettel ausfüllen, aber ich kann weder einen Zettel in der dafür vorgesehenen Halterung finden, noch liegt hier irgendwo ein Stift.

Ich kann den Rauch sehen, bevor ich den Mann sehe. Er muss mindestens seit 1980 in diesem Waschsalon leben, denn seither scheint sich die Welt an ihm vorbeibewegt zu haben. Mausgraues Vokuhila trifft den passenden Oliba. Dazu ein Shirt, das sich über ACDC lustig macht, eine Adidas Trainingshose ohne eingetragenes Markenzeichen, Adiletten, ebenfalls ohne eingetragenes Markenzeichen, eine halbe Packung West Light und ein Gesicht, das aus Holz geschnitzt scheint. Er sitzt auf einem alten Kinosessel und raucht.

Der Automat frisst mein Geld. Zehn Euro hinein, Waschmaschine für vier, nichts wieder heraus. Ich widerstehe der Versuchung, mein Geld durch wildes Rütteln wiederzubekommen, muss stattdessen nachwerfen, um die anderen drei Maschinen zu bezahlen. Ich bin viel zu nett. Das lässt sich mittlerweile eindeutig feststellen.

Warten. Eine Frau setzt sich neben mich, die so aussieht, als habe sie die letzten zwanzig Jahre nicht mehr gelacht. Sie trägt etwas, was ich bisher nur als Männerunterhemd kannte, von meinem Opa. Dazu eine Hose, die wesentlich zu kurz ist. Sie kramt aus ihrer Reisetasche blaue Bettwäsche und lila Laken hervor.

Aufstehen. Wäsche raus. Trockner. Wäsche rein. Hinsetzen.
Die Frau sitzt auf meinem Platz. Ich gehe etwas langsamer. Sie sitzt auf meinem Magazin. Sie schaut erschrocken hoch. Steht auf und rückt zur Seite.
„Entschuldigung.“
- „Ach, ist doch nicht so wild.“
Ich setze mich, blättere. Es scheint sie noch immer zu beschäftigen.
„Ich habe mich auch nur dahin gesetzt, weil da der Aschenbecher ist.“
- „Was halten sie denn dann davon, wenn wir Plätze tauschen? Das wäre doch eine gute Idee.“
„Was wirklich? Wenn sie meinen?“
Auf einmal wirkt sie, wie ein fünfjähriges Mädchen, das soeben von seiner Mutter ein Eis gekauft bekommen hat. Ich bin einen Moment verwirrt.
„Ja…klar. Ist gar kein Problem.“
Wir tauschen. Ich blättere und lese. Sie raucht und starrt auf das rotierende Lilablau in der Waschtrommel, als wäre es ein Fernseher.

Der asiatisch aussehende Mann faltet. Er nimmt, betrachtet, faltet und legt ab. Ich lebe das déjà-vu für einen Augenblick ganz bewusst. Der Mann zieht ein weißes T-Shirt nach dem anderen aus der Maschine, betrachtet, faltet und legt ab. Ich frage mich, ob er Koch ist. Wieder ein weißes. Vielleicht ist er Wachmann in einer Irrenanstalt. Das nächste ist…weiß. Vielleicht ein Engel. Weiß. Arzt. Weiß. Bäcker. Weiß. Weiß. Weiß. Während ich noch weiter über die Berufswahl des Herrn nachsinne, zieht der die Reißverschlüsse seiner Tasche zu, prüft noch einmal gewissenhaft die Waschtrommel und verlässt den Raum eiligen Schrittes.

Tapp tapp. Der Finger auf meinem Bein gehört nicht der dunkelblonden aus meinen Waschsalonträumen, das sehe ich auf den ersten Blick. Ich schaue nach oben für einen Zweiten. Vor mir steht der ACDC Vokuhila. Was er wohl will?
„Hier. Dein Restgeld. Haste vergessen.“
Der Trockner. Sicher. Er drückt mir drei Euro in die Hand.
- „Danke.“
Ja, da war ich wohl in Gedanken.


Death Cab for Cutie - Stable Song

3 Kommentare:

Rueda & Torres, C.P. hat gesagt…

hi nice blog

Anonym hat gesagt…
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Anonym hat gesagt…
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