Nahverkehr
Mit dem Anruf kommen die Tränen. Der Mann sitzt mir gegenüber, eine Sitzreihe entfernt. Die U-Bahn fährt an und er sieht nach draußen. Dort draußen ist nur Schwarz. Ich schaue auch in das Schwarz. Dann schaue ich weg.
Es wird hell als wir den Tunnel verlassen. Die tief stehende Sonne blendet durch verschmierte Scheiben. Draußen Graffiti an den Wänden. Hier drinnen der Mann, der nun schläft. Er ist Mitte dreißig. Dunkle Anzughose, Jackett, weißes Hemd, keine Krawatte. Ich tippe auf mittleres Management, Reihenhaus, Golf. Seine Haare sind gewollt verstrubbelt. Frau, doppeltes Einkommen, keine Kinder. Der Dreitagebart macht aus ihm einen modernen Marlboro-Mann. Fitnessstudio, im Sommer am Wochenende gerne Inliner oder Grillen mit Freunden, wenn der Job es zulässt.
Wir fahren gerade über den Rhein, als das Telefon schellt. Ich merke das nicht, denn meine Ohren sind mit Musik beschäftigt. Das Handy ist zu schnell an seinem Ohr, als das er wirklich geschlafen haben könnte. Sein Blick senkt sich bei den ersten Worten, die er spricht. Ich verstehe nichts, sehe aber, wie es beginnt.
Der Rhein liegt nun schon hinter uns. Am Luegplatz werden Menschen aussteigen, andere einsteigen. Niemand wird dem Mann ein Taschentuch reichen, alle werden nur schauen. Der Mann wird das Telefonat beenden ohne die Tränen aufhalten zu können. Am Barbarossaplatz wird er hastig aufstehen und die Bahn verlassen. Ich werde ihn noch ein letztes Mal aus dem Fenster sehen, werde sehen, wie er nach vorn gebeugt schnell fortgeht, werde sehen, dass er noch immer weint. Daumendrücken.
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