Oh Studienarbeit. Oh Faulheit. Oh Aufschiebesyndrom. Ihr vertragt euch nicht. Darum muss ich jetzt bis morgen abend noch zehn Seiten schreiben. Draußen ist Party mit Grillen, Gesang und Geschrei. Maul halten. Bisherige Highlights der geschriebenen Seiten:
"Das Logo von RTL besteht lediglich aus den drei Buchstaben R, T und L, die jeweils auf rotem, gelbem und blauem Hintergrund stehen."
"Grund hierfür ist wohl zum Teil das bekannte Gesicht des Moderators Günther Jauch, dass, nicht zuletzt aufgrund der Omnipräsenz Jauchs, im Kopf der Zuschauer bereits fest mit dem Sender in Verbindung gebracht wird."
Das wird super.
Auf der Tonspur:
The Rise - The Fallacy of Retrospective Determinism
Liebe Leserinnen und Leser, liebe Kinder, liebe Googlebots, liebe Freunde und Verehrer, liebe Kommentartrolle, liebe Zielgruppe, ich muss mich bei euch, muss mich bei ihnen bedanken. Bedanken für einen Monat, in dem ich Sie, in dem ich euch einen Gast heißen durfte auf meiner Ponderosa des Schreibertums, meinem Bauchladen der Fotografie, meinem Eintopf des guten Geschmacks, meiner Terrorzelle der Ironie, meinem Bombenkrater der Verzweiflung, meiner Farbwelt des Glücks.
Ich versprach die Welt? Hier ist die Welt.
Es ist an der Zeit für ein wenig Customer- Relationship-Management.
Norberts Auswertung behauptet, der Großteil der Zielgruppe würde aus München stammen. Das bezweifle ich und sage: Vielen Dank und ein Grüß Gott nach München. Du Zentrum des Freistaates, Stern an der Isar, Heimat der Furchtlosen, Wohnsitz von Philipp und Sebastian. Jungs, wenn ihr schon knapp die Hälfte aller Klicks für euch beansprucht, dann kommentiert doch auch mal. Dialog statt Monolog. Wenn sich hier keiner meldet, dann geb ich demnächst Hausaufgaben auf – und das will doch keiner.
Auf dem zweiten Platz steht ... Backnang ... ähm ... ähh. Versuchen wir es: Vielen Dank und ein ... ähh ... Hallo ... nach Backnang. Du ... ähh ... Murrmetropole ... du ... ähh ... Stadt an der Murr ... ähh ... Heimat des grinsenden Bürgermeisters – den bitte grüßen – du bist schon jetzt meine Lieblingsstadt an der – nunja – Murr. Geschafft. Grüße auch nach Allmersbach im Tal, Althütte, Aspach, Auenwald, Burgstetten, Großerlach, Kirchberg an der Murr, Murrhardt, Oppenweiler, Sachsenweiler, Spiegelberg, Sulzbach an der Murr und Weissach im Tal. Ihr wisst es vielleicht nicht, aber IHR seid Deutschland. Auch Grüße nach Ludwigsburg, Baden-Württemberg ist unglaublich aktiv. Weiter so, Daumen nach oben.
Dortmund! Du Tor zum Ruhrgebiet, Perle der Industriekultur, Heimat der Borussia. Willkommen auf Platz 3. Bitte mehr anstrengen. So kann es doch nicht weitergehen. Ich muss meine Marketingmaßnahmen so nah der Heimat wohl noch einmal überdenken.
Ein G’Day auch an meine amerikanischen Leser, für die es mir Leid tut, dass sie hier kaum etwas verstehen. Schaut euch die Bilder an und freut euch. Englisch schreibe ich anderswo genug und hier würde es der Kommunikationssituation nicht dienen. Sorry guys.
Ich winke nach Bogotá, Bombay, Guadalajara, Singapur. Ihr, die ihr euch hierher verirrt habt, seid hoffentlich gut heimgekommen?
Enorm viel Glück wünsche ich auch meinem bislang einzigen Besucher von Google. Mögest du zu deiner seltenen Suchwortkombination „parties bergen norwegen frauen“ die gewünschten Ergebnisse gefunden haben.
Es bleibt mir nur, mich ein weiteres Mal zu verneigen, bevor der Vorhang sich für heute schließt. Liebe Leser, ihr seid so...so...so...ach...
Da sitze ich mal wieder in meinem Geheimlabor viele Kilometer unter der Erdoberfläche, berausche mich am Anblick des YES-Torties mit Kerze, welches vor mir auf der Raketenkonsole liegt und säusele ein leises „Happy Birthday“ in die Nacht, als Norbert plötzlich die Tür aufreißt und hektischen Bewegungen in den Raum springt, während er den Zettel in seiner Hand hin und her schwenkt.
Ich erinnere mich. Ich gab ihm vor bestimmt einer Woche eine penibel geführte Strichliste und einen Casio Taschenrechner mit den Worten: „Norbert, wir müssen unsere Zielgruppe analysieren. Herausfinden, wer die sind und was die wollen. Mach das mal. Bis Freitag.“ Ich versprach ihm weiterhin, er dürfe jene Bananen fressen, die auf dem Regal langsam in einen flüssigen Aggregatzustand übergingen.
Jetzt ist er also fertig. „Perfekt!“ Er reicht mir den Zettel. „Genau pünktlich zum einmonatigen Geburtstag.“ Weil die Bananen mittlerweile dahingeschmolzen sind, darf Norbert das YES-Torty haben, das ich ohnehin nicht mag. Ich schaue auf das chlorfrei gebleichte Stück Papier. Dann beginne ich mit meiner Dankesrede.
Bill Murray, bitte lass uns tauschen. Ich bin dann ein alter Mann im Trainingsanzug, der seine verflossenen Lieben auf der Suche nach einem möglichen Nachkommen noch einmal besucht. Ich fahre dann in geliehenen Toyota Mittelklassewagen durch die USA, schlafe in Motels an großen Straßen und kaufe einen Strauß rosafarbener Blumen nach dem anderen. Ich würde feststellen, wie Menschen, die sich einmal nah waren, sich entfernen, so verschieden werden können. Ich wäre dann dieser bewundernswerte Held der Langsamkeit, der ich schon seit Lost in Translation bin.
Du, Bill, kannst dann bei geschätzten vierzig Grad in Unterhose auf einem unbequemen Holzstuhl sitzen und fleißig schwitzen, während du dir lieber großartige Filme von mir ansiehst, als die fünfzehn Seiten Studienarbeit zu beginnen, die du in drei Tagen fertig haben solltest. Machst du mit? Komm, schlag ein.
ich nenne dich jetzt einfach mal so, denn wir kennen uns nicht. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber es wird dir schlecht gehen, denn das, was du da auf dem Klo…nun, das weißt du ja selbst am besten. Ich hoffe, es geht dir bald besser. Ich bete dafür, dass du schon ganz bald wieder festen Stuhl hast. Das wird schon wieder. Kopf hoch. Und die Sache mit dem Zielen, nun, das schaffst du auch noch. Nur Mut. Wenn dir das nächste Mal so ein Malheur passiert, dann brauchst du dich auch nicht so dafür zu schämen, dass du einfach fortrennst. Es gibt Hilfe für alle deine Probleme. Den Umgang mit der seltsamen Bürste neben dem Ort deines Unglückes erklären dir sicher gerne hilfsbereite Mitbewohner und das mit dem Klopapier, ach Klomann, das kriegen wir doch irgendwie alles hin.
Mit dem Anruf kommen die Tränen. Der Mann sitzt mir gegenüber, eine Sitzreihe entfernt. Die U-Bahn fährt an und er sieht nach draußen. Dort draußen ist nur Schwarz. Ich schaue auch in das Schwarz. Dann schaue ich weg.
Es wird hell als wir den Tunnel verlassen. Die tief stehende Sonne blendet durch verschmierte Scheiben. Draußen Graffiti an den Wänden. Hier drinnen der Mann, der nun schläft. Er ist Mitte dreißig. Dunkle Anzughose, Jackett, weißes Hemd, keine Krawatte. Ich tippe auf mittleres Management, Reihenhaus, Golf. Seine Haare sind gewollt verstrubbelt. Frau, doppeltes Einkommen, keine Kinder. Der Dreitagebart macht aus ihm einen modernen Marlboro-Mann. Fitnessstudio, im Sommer am Wochenende gerne Inliner oder Grillen mit Freunden, wenn der Job es zulässt.
Wir fahren gerade über den Rhein, als das Telefon schellt. Ich merke das nicht, denn meine Ohren sind mit Musik beschäftigt. Das Handy ist zu schnell an seinem Ohr, als das er wirklich geschlafen haben könnte. Sein Blick senkt sich bei den ersten Worten, die er spricht. Ich verstehe nichts, sehe aber, wie es beginnt.
Es beginnt am Kinn. Dieses leichte Zittern. Die Mundwinkel, die sich nicht mehr kontrollieren lassen und zucken, während er in das Telefon hineinhört. Die feuchter werdenden Augen reflektieren die Morgensonne wie der Fluss unter uns. Er redet, er beginnt zu weinen. Ich schaue mich verlegen um. Binnen Sekunden ist der mittlerweile tränenüberströmte Mann, der seinen Mund bewegt und dabei zu Zittern beginnt, Fluchtpunkt für dutzende Augenpaare. Ich blicke verschämt aus dem Fenster.
Der Rhein liegt nun schon hinter uns. Am Luegplatz werden Menschen aussteigen, andere einsteigen. Niemand wird dem Mann ein Taschentuch reichen, alle werden nur schauen. Der Mann wird das Telefonat beenden ohne die Tränen aufhalten zu können. Am Barbarossaplatz wird er hastig aufstehen und die Bahn verlassen. Ich werde ihn noch ein letztes Mal aus dem Fenster sehen, werde sehen, wie er nach vorn gebeugt schnell fortgeht, werde sehen, dass er noch immer weint. Daumendrücken.
Ich bin fest davon überzeugt, dass Busfahrer es gerne sehen, wenn Menschen zu den Haltestellen rennen. Insgeheim muss es ihnen Freude bereiten, wenn sie für diesen Moment entscheiden dürfen, wer mitkommen darf und wer nicht. Sie müssen ihn lieben, den Augenblick, in dem sie sich über ihre Dienstleistungsfunktion erheben und für kurze Zeit zum Gott der Parkbucht werden.
Den Gefallen werde ich ihm diesmal nicht tun. Ich werde nicht rennen. Nicht in dieser Hitze. Es sind etwa 150 Meter bis zum Häuschen mit dem großen H. Die Ampel vor mir ist rot. Neben mir brummt der Motor des Busses. Von Zeit zu Zeit stimmt die Motorabdeckung mit Fiepen und Geschepper in das Auf und Ab des Motors mit ein. Resonanzen. Auch seine Ampel steht auf Rot. Warten auf Grün. Jetzt Gelb für den Querverkehr. Noch drei, noch zwei. Grün. Ich gehe schnellen Schrittes los. Jetzt nicht rennen.
Das gequälte Aufheulen des Busmotors kommt einige Sekunden zu spät. Start verpennt. 1:0 für mich. Noch 100 Meter. Der Bus zieht problemlos an mir vorbei und bremst sich hart an den Straßenrand heran. 70 Meter. Die Türen gehen auf. Menschen steigen aus. 50 Meter. Menschen steigen ein. 30 Meter. Die Oma hat keinen Fahrschein und muss bezahlen. 10 Meter. Der Blinker geht nach links. 5 Meter. Die hinteren Türen schließen und ich drücke mich in bester Indiana Jones Manier durch den kleiner werdenden Spalt. Beinahe erwischt es meinen Rucksack, aber ein kurzes heftiges Ziehen befreit mich. Ich setze mich. Ich bin nicht gerannt. Perfekt.
Eine männliche Stimme nölt von vorne. „Junger Mann…“ Sätze, die mit „junger Mann“ anfangen sind nie gute Sätze. Sätzen, die mit „junger Mann“ beginnen, folgt meist ein Imperativ, den Versuch einer Degradierung gleich am Anfang. Aber diese Stimme meint sicher nicht mich. Ich bleibe sitzen.
„Junger Mann.“ Ich drehe mich um und sehe nach vorn. Der Busfahrer präsentiert seine Pilotensonnenbrille im Rückspiegel. Eine Handbewegung winkt mich nach vorn.
„Junger Mann!Kommen sie mal nach vorne!“ Er wird nachdrücklicher und macht klar, dass er hier der Sheriff ist.
Ich schlendere nach vorn. Fahrgäste mustern mich als sei ich ein Dieb, oder habe mich vor Frauen entblößt. Geringschätzung wo ich hinsehe. Ich krame mein teuer erstandenes Monatsticket hervor, denn das wird er sicher sehen wollen. Da bin ich. Mein Richter, mein Henker. Er sieht nicht auf meinen hervorgestreckten Fahrausweis.
„Den wollten sie doch sehen?“ Er sieht nicht einmal mich an, blickt hinter seiner Pilotenbrille irgendwo in die Ferne. Er beginnt. „Junger Mann…“
Wenn das hier ein Western wäre, wäre es der richtige Moment auszurasten. Der Moment, in dem ich meinen Colt Peacemaker ziehe und ihm an die Schläfe halte, so dass sein Schweiß am Lauf herunterrinnt. „Scheiße, Manni, was ist dein Problem?“ Ich würde leise sprechen, sein erschrockenes Gesicht genießen, nur um dann zu schreien. „Maul halten und fahren!“
Stattdessen: „Junger Mann. Warum sind sie hinten eingestiegen?“ - „Na, es musste schnell gehen.“ „Schnell gehen?“ - „Sie haben die Türen geschlossen, ich wollte mit. Also bin ich hinten rein.“ „Sie steigen nicht hinten ein! Beim nächsten Mal müssen sie schneller machen. Mal ein wenig rennen.“ Was zu beweisen war. - „Sicher. Tut mir leid.“ Ich suche mir grinsend einen Platz.
Onelinedrawing - Be Quiet And Drive (Deftones Cover)
Du nimmst den SB50 Richtung Kö, fährst mit der 77 zum Seestern, drehst die Drehtür, holst dir beim Pförtner die ID. Durch die Drehkreuze, der Fahrstuhl bis zur 9. Der Transponder öffnet die Tür. Computerbrummen. Du lädst die JDS und die MPS in Putty, Kommandozeile, WinSCP liefert das Ergebnis. Den MLD-Report dazu, ab in Excel, Statistik deluxe. Kurzes Reporting und dann weiter in die ACE Konsole, BIDs mappen, damit das DWS die SID zuordnet, zwecks korrektem billing. Probe im TestMIDlet. TTWOS liefert die Tickets und du holst das SV30 von TSM zum testen, weil MLO keins hat. Die SIM, die PIN, der Deeplink. Bitte warten. Dateien werden geladen. Das JAD, das JAR und fertig. Reporting ans SOC und Beschwerde an die GSP, weil die Apaches abgeschmiert sind, wie der RRD-Graph in leuchtendem rot beweist. Du erstellst Gamemapping und Devicemapping, um elf jour fixe und gegen zwei resi. Dazwischen Mittag. Fahrstuhl, Drekreuze. Ausgabe 1. Kleine Portion. Drehkreuze, Fahrstuhl. ICs bauen, die Auswertung zur WM. Outlook befiehlt: das Game muss live gehen. Du änderst den APN, den Proxy, den Port. Hoffen auf connection. Fehlerflackern. Den Call abwarten. Den Fehler erörtern. Das naming checken. Das mapping prüfen. Dem Provider schreiben. Die Handsets wegschließen. Fahrstuhl, Drehkreuze, Drehtür. Dann die 77 bis zur Kö, die 701 zu den Uni-Kliniken. Hausnummer 6, Haus 11, Zimmer 139. Die Tür fällt zu.
The Faint - Agenda Suicide
Es liest sich zwar anders, aber es macht eigentlich Spaß.
Die kleinen noch halb feuchten Haufen liegen vor mir. Ich sortiere in „hängt die Nacht über besser noch übern Stuhl“ und „ab in den Schrank“. Der Abend war kein Spaß und fügt sich somit immerhin nahtlos in den restlichen Tag ein.
Frau Claßen war nicht da. Frau Claßen verkauft falsche Waschmarken und ist dann einfach nicht da. Der Mann hinter der Tür sieht verdächtig nach Hausmeister aus. „Machen Sie grad zu?“ - „Nee, aber sie wollen zu Frau Claßen. Die ist nicht da.“ „Mh. Das ist dumm. Wann kommt sie wieder?“ - „Heute um…ähh…vier rum.“ „Da bin ich leider im Praktikum.“ - „Tja, kann man nix machen. Was wollen se denn?“ „Ich hab gestern Waschmarken gekauft. Dann hab ich festgestellt, dass die ja gar nicht passen. Da muss man mit Karte zahlen.“ - „Wo wohnen se denn?“ „Haus 11.“ - „Ah. Na. Ähh. Sie müssen natürlich schon auch sagen, wo sie wohnen.“ „Sollte Frau Claßen mich das nicht fragen? Immerhin kenne ich mich nicht aus und ging davon aus, dies sei die einzige Möglichkeit zu waschen. Jemandem Waschmarken für ein Wohnheim in Kilometerentfernung zu verkaufen macht doch eigentlich keinen Sinn…“ Ich war keineswegs unfreundlich, als ich das sagte. Schließlich konnte er ja nichts dafür. Generell bin ich aber viel zu selten unfreundlich. Das sollte ich ändern. „Naja. Trotzdem nen schönen Tag.“ - „Ihnen auch.“
Es folgte ein Tag mit Aufgaben für 3 Köpfe und 4 Hände. Die Heimfahrt gegen halb sieben wurde dank Death Cab For Cutie die kleine Insel der vollkommenen Ruhe, was ein Widerspruch in sich ist.
Google findet den nächsten Waschsalon in fünf Kilometern Entfernung. Frau Claßen wird in nächster Zeit nicht für mich zu erreichen sein. Terminliche Überschneidungen, so nennt man das wohl.
Die Hitze hält sich bis in den Abend. Mit Reisetasche und Rucksack in der S-Bahn. Nein, ich habe nicht gekleckert. Das sind Schweißflecken, da auf dem T-Shirt.
Hier war ich noch nicht. Miese Gegend. Ich bin mir beinahe sicher, dass hier etwas geht. Junge, unansehnliche Damen stehen in knapper Kleidung regungslos am Straßenrand. Auf dem Schild in der Ferne steht „SB-Waschsalon“. Da will ich hin.
Der Kerl mit den zu Dreadlocks verfilzten Haaren steht teilnahmslos in der Ecke. Nach zehn Minuten geht er hinaus und kommt Minuten später mit glasigen Augen hinein, nimmt seine noch tropfende Wäsche aus der Maschine, dreht sie zu einem Ball, klemmt den unter den Arm und geht. Eine Socke löst sich aus dem Ball und fällt mit einem leisen „Patsch“ auf den Boden. Dort wo sie liegt bildet sich bald eine kleine Pfütze. Der Dreadlockmann geht weiter.
Die Frau in den Vierzigern faltet ihre Wäsche auf. Das tut sie sehr sorgsam und mit geschickter Hand. Die gleichen geschickten Hände verpacken die Wäsche in eine große Jutetasche. Daneben steht das Waschmittel, auf dem viele Logos versichern, dass man es auch an Säuglinge verfüttern könne, ohne großen Schaden anzurichten. Zu der Frau gehört Jonas. Jonas ist etwa sieben und tobt durch den Salon. Ich kenne seinen Namen, weil seine Mutter sich umdreht, als er gerade dabei ist, in eine Waschtrommel zu klettern, und leise sagt: „Jonas, bitte.“
„Hey, das Buch hab ich auch grad erst gelesen.“ Das Mädchen auf der Sitzreihe gegenüber hat die Beine übereinander geschlagen. Darauf ein Magazin, dessen Titel ich nicht zu entziffern vermag. Das schwarz weiß gestreifte Top sieht sehr nach H&M aus, steht ihr aber ungemein gut. Ein paar Strähnen des mittellangen, dunkelblonden Haares fallen in ihr Gesicht. Ich blicke vom Buch auf. Sie lächelt. „Wehe, du verrätst das Ende.“ Ich grinse. Man kommt ins Gespräch.
Scheiße. Was bin ich naiv. Meine Vorstellungen eines Waschsalons, die ich allesamt aus trendigen Fernseh- oder Werbefilmen entliehen habe, greifen gründlich daneben. Das hier ist ganz anders. Keine lockere Atmosphäre, Dreadlockmänner, Hippiemütter, spontane Parties oder entspanntes Herumgehänge.
Der grau melierte Fußboden wirkt stumpf und an einigen Stellen sind Kanten aus den Fliesen gebrochen. Unter scharfen Rändern der Bruchstellen liegt der ebenso graue Estrich. Die Waschmaschinen sehen aus, als wären sie zu Zeiten des kalten Krieges in einem russischen Rüstungsunternehmen entworfen und gefertigt worden. „Miele“ steht dort in Buchstaben, die von weißen Waschpulversprenkeln bedeckt werden. An jeder zweiten Maschine hängt ein blauer Zettel, der dafür entschuldigt, dass diese Maschine leider momentan außer Betrieb ist. Deutsche Wertarbeit. Über allem thront ein Fernseher, der in einen weinrot gestrichenen Holzkasten eingebaut ist, damit niemand auf die Idee kommt, ihn mitzunehmen. Der Anreiz dazu ist allerdings gering, denn der Fernseher ist ausgeschaltet.
An der Wand hängen die gescheiterten Versuche, diesem Ort leben einzuhauchen. Wäsche. Gemalt auf Spanplatte. Wie passend. Sieht nach Kinderhand aus, ist aber signiert. F.S. 2001.
Der Colaautomat rechnet noch in Deutsche Mark und poltert laut, als ich dennoch die Frische der Ware teste. Neben dem Nichtraucheraufkleber, der scheinbar grundsätzlich missachtet wird, pappt ein Aufkleber am Automaten, auf dem ein regenbogenfarbenes, Rad schlagendes Männlein verkündet, dass 2002 das Jahr der Handwerkerinnung sei.
Am Eingang hängt ein Kasten, auf dem ein lachendes Gesicht fragt, ob man denn auch zufrieden war. „Lob und Tadel…damit wir unseren Service für Sie weiter verbessern können.“ Ich muss grinsen, denn mir fallen für einen kurzen Moment all die Bewertungsbögen ein, die ich früher mit meiner Schwester zusammen in den Dreisternehotels der Urlaube am Meer ausgefüllt habe. Kinderbetreuung bekam immer ein Kreuz auf dem Smiley mit dem breitesten lächeln. Sauberkeit eines auf dem Strichgesicht in der Mitte der Skala. Wir haben nie die traurigen Smileys angekreuzt. Dass ich viel zu nett bin, habe ich ja heute bereits erwähnt. Ich möchte auch jetzt gerne einen solchen Zettel ausfüllen, aber ich kann weder einen Zettel in der dafür vorgesehenen Halterung finden, noch liegt hier irgendwo ein Stift.
Ich kann den Rauch sehen, bevor ich den Mann sehe. Er muss mindestens seit 1980 in diesem Waschsalon leben, denn seither scheint sich die Welt an ihm vorbeibewegt zu haben. Mausgraues Vokuhila trifft den passenden Oliba. Dazu ein Shirt, das sich über ACDC lustig macht, eine Adidas Trainingshose ohne eingetragenes Markenzeichen, Adiletten, ebenfalls ohne eingetragenes Markenzeichen, eine halbe Packung West Light und ein Gesicht, das aus Holz geschnitzt scheint. Er sitzt auf einem alten Kinosessel und raucht.
Der Automat frisst mein Geld. Zehn Euro hinein, Waschmaschine für vier, nichts wieder heraus. Ich widerstehe der Versuchung, mein Geld durch wildes Rütteln wiederzubekommen, muss stattdessen nachwerfen, um die anderen drei Maschinen zu bezahlen. Ich bin viel zu nett. Das lässt sich mittlerweile eindeutig feststellen.
Warten. Eine Frau setzt sich neben mich, die so aussieht, als habe sie die letzten zwanzig Jahre nicht mehr gelacht. Sie trägt etwas, was ich bisher nur als Männerunterhemd kannte, von meinem Opa. Dazu eine Hose, die wesentlich zu kurz ist. Sie kramt aus ihrer Reisetasche blaue Bettwäsche und lila Laken hervor.
Aufstehen. Wäsche raus. Trockner. Wäsche rein. Hinsetzen. Die Frau sitzt auf meinem Platz. Ich gehe etwas langsamer. Sie sitzt auf meinem Magazin. Sie schaut erschrocken hoch. Steht auf und rückt zur Seite. „Entschuldigung.“ - „Ach, ist doch nicht so wild.“ Ich setze mich, blättere. Es scheint sie noch immer zu beschäftigen. „Ich habe mich auch nur dahin gesetzt, weil da der Aschenbecher ist.“ - „Was halten sie denn dann davon, wenn wir Plätze tauschen? Das wäre doch eine gute Idee.“ „Was wirklich? Wenn sie meinen?“ Auf einmal wirkt sie, wie ein fünfjähriges Mädchen, das soeben von seiner Mutter ein Eis gekauft bekommen hat. Ich bin einen Moment verwirrt. „Ja…klar. Ist gar kein Problem.“ Wir tauschen. Ich blättere und lese. Sie raucht und starrt auf das rotierende Lilablau in der Waschtrommel, als wäre es ein Fernseher.
Der asiatisch aussehende Mann faltet. Er nimmt, betrachtet, faltet und legt ab. Ich lebe das déjà-vu für einen Augenblick ganz bewusst. Der Mann zieht ein weißes T-Shirt nach dem anderen aus der Maschine, betrachtet, faltet und legt ab. Ich frage mich, ob er Koch ist. Wieder ein weißes. Vielleicht ist er Wachmann in einer Irrenanstalt. Das nächste ist…weiß. Vielleicht ein Engel. Weiß. Arzt. Weiß. Bäcker. Weiß. Weiß. Weiß. Während ich noch weiter über die Berufswahl des Herrn nachsinne, zieht der die Reißverschlüsse seiner Tasche zu, prüft noch einmal gewissenhaft die Waschtrommel und verlässt den Raum eiligen Schrittes.
Tapp tapp. Der Finger auf meinem Bein gehört nicht der dunkelblonden aus meinen Waschsalonträumen, das sehe ich auf den ersten Blick. Ich schaue nach oben für einen Zweiten. Vor mir steht der ACDC Vokuhila. Was er wohl will? „Hier. Dein Restgeld. Haste vergessen.“ Der Trockner. Sicher. Er drückt mir drei Euro in die Hand. - „Danke.“ Ja, da war ich wohl in Gedanken.
Ich danke der Frau, bei der ich heute Waschmarken kaufte, die nicht in die Waschmaschinen des gleichen Hauses passen. Da wird mit Karte gezahlt. Seit einem Jahr. Da stehe ich nun mit einer Tasche voller Dreckwäsche und weiß nicht wohin. Die Unterhosen reichen wohl noch, aber den Rest müsste ich bald umgedreht anziehen.
Kirmesboxer
Schlimmer ist jedoch noch der verlorene Kirmestag. Ich gehe jetzt jeden Tag auf die Kirmes. Kirmes ist super. Dabei habe ich noch kein Eis gegessen, keine Zuckerwatte gekauft und bin mit keinem Karussell gefahren. Nur Fotos gemacht. Was irre Spaß macht, leider aber auch sehr sehr warm ist, mit dem Rucksack und dem ganzen Kram. Erste Bilder gibt es hier.
Kirmesbesucher
Andererseits ist es womöglich auch ganz gut, heute nicht fotografiert zu haben. Immerhin ist heute "non-photography day". Aber es ist allemal schade um morgen.
Sehr geehrter Herr Rupert, vielen Dank für Ihre Bewerbung als Praktikant (m/w) Vodafone live! Mobile Games, MobileTV und Mobile Entertainment bei der Vodafone D2 GmbH. Aufgrund der Vielzahl der Bewerbungen haben wir eine Vorauswahl getroffen, nach deren Abschluss wir Ihnen leider mitteilen müssen, dass wir Sie bei der Besetzung der ausgeschriebenen Position nicht in die engere Wahl nehmen können. Wir freuen uns, wenn Sie mit Ihrem Profil in unserem Talent-Pool registriert bleiben. Mit freundlichen Grüßen Vodafone D2 GmbH Ihr Recruiting-Team
Wenn die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut. Jetzt bin ich schon seit zwei Wochen bei Vodafone und habe den Verfasser der Email vermutlich sogar schon einmal getroffen. Aber gut. Die Mühlen der Bürokratie mahlen ein wenig langsam. Womöglich habe ich mich sogar selbst aus dem Rennen geworfen? Jetzt also Talent-Pool. Super.
Da! Da war wieder einer. Habt ihr den gesehen? Nicht? Hab ich mir den jetzt eingebildet?
Meine Mitbewohner sind schwer zu finden. Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass sie schwer zu hören sind. Nein, sie machen keinen Lärm und die lauteste Musik kommt doch wohl immer noch aus meinen Boxen, aber man kann sie hören, jawohl. Sie reden. Ich kann nur nicht sagen, was sie reden. Sie sprechen in fremden Zungen.
Man kann sie auch riechen. Nicht sie selbst, aber sie hinterlassen Spuren. In der Küche. Auf dem Klo. Meist riecht beides irgendwie ähnlich oder ich kann für einen Moment nicht entscheiden, was ich lieber riechen möchte.
Halt, war da…ach, nein. Ist da doch jemand? Mh.
Manchmal sehe ich eine verhuschte Gestalt auf dem Flur. Morgens, beim Duschen. Ich singe ein fröhliches „Guten Morgen“ in Richtung des Schattens. Die Kreatur drückt sich näher an die Wand und krächzt ein leises „morgen“. Herrje.
Es liegt wohl auch an mir. Ja, bestimmt tut es das sogar. Ich koche nicht in der Küche und tagsüber bin ich auch nicht da. Abends dann im Zimmer. Aber merkwürdig ist es dennoch. Das Haus hat zwei Etagen à 20 Zimmer. Es sollten also knapp 40 Personen hier durch die Gänge rennen, aber die Person, mit der ich bislang am meisten zu tun hatte, war die Putzfrau.
Da, in der Küche. Ich stelle mich mal dumm. „Wo kann man denn hier am Besten das Spiel heut Abend schauen?“ -„Was?Hä?“ „Das Spiel. Wo kann man das denn hier in Düsseldorf gut schauen? Ich bin erst vor zwei Tagen eingezogen…“ Die Antwort kommt aus der anderen Ecke der Küche. Es sind also zwei. Hui. So ein Zufall. -„In Altstadt. In Altstadt.“ Der Körper, der zur Stimme gehört, steht auf und drückt sich an mir vorbei durch die Tür. Er verschwindet im Halbdunkel des Flures. „Dann geh ich da mal hin…“ -„Ja.“
Meine Nachbarin ist wohl Engländerin. Oder Amerikanerin. Oder Australierin. Oder Kanadierin. Oder Gottweiswas. Jedenfalls hat sie mir mal die Tür aufgehalten. Die Haustür, wo ich schwer beladen vom Einkauf zurückkam. Sie war in Begleitung eines Deutschen, der kein „th“ aussprechen konnte. Jedenfalls meinte er zu ihr in zischenden, gebrochenen Lauten, man könne sich doch demnächst mal öfter treffen und etwas unternehmen. Ich sah ihm kurz in die Augen, als ich ein PET-Packet voll Wasser die Treppe hinaufschleppte. Er blitzte mich an. 'Verfick dich Alter. Die gehört mir.’ Na dann halt dich mal ran, mein Junge. Aber wehe, ihr werdet laut in der Nacht. Dann klopf ich nämlich bei euch an der Tür. „Könnt ihr auch leise ficken?“
Im Netzwerk gibt es neben eher unspannenden arabischen Musikdateien auch Fotos einer hageren Osteuropäerin im Familienurlaub zu sehen. Shared Documents. Ah. Sie studiert Humanmedizin. Mh. Dabei sieht sie nach Drogen aus. Vielleicht ist eine Uniklinik ein günstiger Ort um…ach, ich sollte nicht so viel unterstellen. Gesehen habe ich sie noch nicht. Ihr Musikgeschmack ist sehr seltsam. Wer hört denn bitte noch aktiv „East 17“? Ich habe Angst, dass ihr durchweg grimmig dreinblickender, bäriger Freund, der sicherlich mehrere Jahre in einer Armee des ehemaligen Warschauer Paktes gedient hat, rüberkommt und mir eine reinhaut. Ich lass das wohl besser mal sein.
Ich denke die ganze Zeit an dieses Spiel. Da, wo man auf Tiere draufhaut. Das Spiel wo die Tiere aus ihren Löchern kommen und wieder verschwinden, sobald man versucht, sie mit einem Hammer zu erwischen. Na, die Sache mit dem Hammer mal außen vor. So in etwa ist es hier.
Der Mann, der auf mich zukam, wollte eindeutig mein Geld. Ob ich deutsch spreche? Ah, die Kamera...okay. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich die Kopfhörer aus meinen Ohren nahm, obwohl ich ihn auch so gut verstand. - "Ja. Schon." "Also hier äh...musst...mir ja nichts abkaufen...äh...aber..." Der Ausweis an seiner Brust erklärte schneller, als er es konnte. Er verkaufte eine Obdachlosenzeitung. "...also ich...ähh..." - "Sind vierzig Cent okay?", ich kramte nach nicht silbernem Kleingeld. "Die Zeitung kannst du dann noch jemand anderes verkaufen." "Jaja, klar. Guter Mann, guter Mann." - "Dann noch einen schönen Tag." "Schönen Tag - guter Mann, guter Mann." Er begegnete mir später am Tag noch einmal und murmelte wieder etwas vom "guten Mann".
"Sprichst du deutsch?" Hm. Warum eigentlich immer gleich die Karten auf den Tisch legen? Es wird Zeit für eine zweite Identität. "Nils Rupert" hat bei Google neben all dem, was ich selbst zustandegebracht habe noch zwei schwedischeEinträge. Ein Schwede also? Hm. Zu plakativ. Ich habe seither aus unbekannten Gründen ohnehin mehr für Norwegen übrig. Ein Norweger also? Ja, fein.
Ich bin Norweger
Ich bin Nils Rupert, bin 25 Jahre alt und komme aus Bergen. Das liegt im Südwesten, direkt am Meer. Ich studiere Meeresbiologie. Momentan mache ich ein Auslandsemester in Kiel.
Mein Vater wollte immer, dass ich Schiffbau studiere. Das hat er auch getan und er sagt immer, dass es das richtige gewesen sei, um die Familie durchzubringen. An Meeresbiologie war das Meer selbst schuld - und mein Großvater. Er nahm meinen Bruder und mich an einem Sonntag im Monat mit ins Aquarium und erklärte uns die Tiere, wie sie leben, was sie fressen. Das waren schöne Sonntage. Nach Kiel bin ich gegangen, um nach der Sache mit Mia einen klaren Kopf zu bekommen. Am Anfang war es nicht leicht, weil ich nur ein wenig Deutsch aus der Schule konnte. Aber viele Leute sind sehr nett und ausgesprochen hilfsbereit, wenn es mal mit der Sprache nicht so klappt. Ich besuchte meinen älteren Bruder Magnus, der in Düsseldorf wohnt. Er ist Bänker und in den letzten Jahren haben wir uns ein wenig aus den Augen verloren, nachdem er wegen Anna nach Deutschland gegangen ist. Das ist jetzt vier Jahre her. Ich wohne seit zwei Wochen bei den beiden und wir verstehen uns prächtig. Tagsüber, wenn er arbeitet, laufe ich durch die Stadt und mache Fotos. Abends kochen wir dann zusammen und es gibt eine Menge zu lachen und zu erzählen. Ich kann meine Mutter nicht verstehen, die noch immer etwas gegen Anna hat. Vermutlich glaubt sie, sie hätte ihr den Sohn weggenommen. Das stimmt aber so nicht, wie ich jetzt weiß. Ich bin Nils Rupert, bin 25 Jahre alt und komme aus Bergen. Na, wenn das nichts ist.
Was ein Abend. Ich ging in die Altstadt, um das Halbfinale zu sehen. Etwa auf halbem Wege wurde dann aus dem aktiven "gehen" ein passives "gegangen werden". Es war unglaublich voll. Dieser Umstand, zusammen mit der Tatsache, dass alle Sitzplätze im Kilometerumkreis schon seit Stunden belagert wurden, ja sogar reserviert werden konnten, machte die Sache nicht angenehmer. Ich suchte mir einen Platz, von dem aus ich aus etwa zwanzig Meter Entfernung auf eine Minileinwand schielen konnte, und sah das Spiel der beiden Achsenmächte Fußballnationen mit einem halben Auge, weil das andere entweder mit den Haaren des Vordermannes, oder dessen ausgeatmeten Rauch rang. Der Ausgang des Spiels ist bekannt und ich stahl mich nach mühsam erstandenen 120min Schauspielzeit davon. Ich verzichtete darauf, Bilder von deutschen Fans zu machen, um einer Prügelei möglichst aus dem Wege zu gehen. ("Will sich einer mit mir schlagen? Scheiße! Da hab ich jetzt verflucht Bock drauf!") Meine Suche nach freudetrunkenen Italienern sollte erst nach knapp einer Stunde belohnt werden. Auf der Köbrücke versammelten sich etwa 100 Menschen um dort nach allen Regeln der Kunst herumzutoben. Ich spielte Fotograf und log sogar jemanden an, der wissen wollte, wo er denn die Bilder finden könne. Das war nicht sehr nett von mir. Die Strafe folgte auf dem Fuß. Zunächst musste ich knapp eine halbe Stunde auf die letzte S-Bahn des Tages warten, dann gesellte sich ein Ehepaar in den Fünfzigern dazu. Die Frau schaffte es, sich eine geschlagene Viertelstunde über die Italiener zu beschweren. Auszugsweise Gesprächshighlights? Bitte sehr: "Also, da kann man doch jetzt Anzeige erstatten, wo die doch so einen Lärm machen." - "Sie hätten sich ja auch nicht beschwert, wenn die Deutschen hier laut hupend herumgefahren wären." "Aber irgendwas muss man da doch machen können. Was meinst du, Heinz?" Heinz meinte nichts. Heinz hatte ohnehin sehr wenig zu melden, weil der Alkohol sich in seinem Kopf meldete. "Da müssen wir einfach aufhören, in Pizzerien und so zu gehen. Was sagst du, Heinz?" Heinz schwieg eisern. "Gibt eh viel zu viele Pizzerien hier." Ja, so ging das. Als nach ihrem ganzen Nazigewäsch endlich die S-Bahn kam, atmete ich erleichtert auf. Doch mein Glück sollte mich erneut verlassen. Auf halber Strecke meldete der Zugführer stolz, dass er nun nicht mehr die normale Strecke, sondern direkt ins Depot fahren würde. Großartig. So lief ich etwa drei Kilometer, indem ich den Bahngleisen folgte, zurück zum Wohnheim, wo ich ankam, kurz bevor meine Beine abfallen wollten.
Heute war ein schöner anstrengender Tag. Ich verließ mein Verließ und ging los. Planlos. Ich ging geradeaus, wenn ich geradeaus gehen wollte, ich bog rechts ab, wenn ich nach rechts wollte und nach links, wenn mir der Sinn danach stand. Bald musste ich herausfinden, dass man tatsächlich im Kreis läuft, wenn man sich kein wirkliches Ziel setzt. Darum bestieg ich eine Straßenbahn Richtung Altstadt, wobei mir eine Omi half. An der Haltestelle erkundigte ich mich bei ihr, ob dies denn nun die richtige S-Bahn sei. "Ach, sind se nicht von hier? - "Nee. Praktikum. Heute erster Tag in Düsseldorf." "Ja, da müssen se noch ein bisschen warten. Kommt gleich der, auf den se warten." - "Okay. Dann warte ich." "Ich fahr ja auch mit der gleichen Linie."
Ich schüttelte sie dann durch mein ungeschicktes Suchen nach dem Fahrkartenautomaten ab. Als sie die Bahn verließ, dachte ich, es wäre mit einem dankbaren Lächeln getan, doch weit gefehlt. Als sie an mir vorbeischritt, brüllte sie quer durch den ganzen Wagen. "Also noch zwei Stationen, die übernächste. Die jetzt und dann noch eine. Dann müssen se aussteigen." Juhu. Ich hatte mich gerade mit meiner Außenansicht als cosmopolitischen, musikhörenden Großstadtgalans angefreundet und dann kam das. Ich grinste die Gucci-Wasserstoffblondine von Gegenüber entschuldigend an, nur um mich in der Hornissensonnenbrille zu spiegeln.
Im Folgenden rannte ich knapp sechs Stunden bei brüllender Hitze durch Düsseldorf, nach gleichem Schema wie bereits erläutert. So kam ich auch an mehreren Orten zwei oder gar dreimal vorbei. Einmal verstaute ich die Kamera vorsichtshalber im Rucksack, weil ich in eine kriminell schäbig aussehende Wohnwagensiedlung kam. Ein anderes Mal bewunderte ich eine junge Dame, die, ähnlich wie ich, mit Teleobjektiv bewaffnet andere Menschen fotografierte. Da jedoch sowohl Kamera, Blitz, als auch Objektiv deutlich teurer waren als meine Ausrüstung, hielt ich sie für eine Professionelle. Dagegen sprachen ihre hochhackigen Schuhe und die Einkaufstasche, in die sie irgendwo auf der Kö teure Dinge verpackt hatte.
Woah! Huiuiuiui... Ich geriet soeben in Verzückung, als ich die Geschwindigkeit des Netzes testete. Damit kann ich das ganze Internet an einem Abend runterladen. Super. Nicht so super ist, dass 500MB etwa 1,10€ kosten. Aus Geiz werde ich daher meinem Firefox befehlen, keine Bilder, Videos und sonstige großen Dinge zu laden. Nur noch Quelltext, der Rest ist Fantasie.
Düsseldorf also. Das ist sie nun, meine kleine Villa Kunterbunt. Fertig eingerichtet ist auch schon. Wenn es aufhört, so unfassbar heiß zu sein, reite ich aus und erkunde die umliegenden Ländereien.
Ein Abend mit Felix und Niko, einer Überraschung auf dem Platz, halbvollen Gläsern und überlaufenden Fässern, viel Morgen und ein wenig Gestern, Einsichten, Draufsichten und Aussichten, innerer Leere und Zukunftsplänen, Spatzen in Händen und Farbe an Wänden, Zeit, Raum und was man daraus macht, großen Träumen und einfachem Leben, nackten Frauen und dem was soll und dem was muss. Vielen Dank.