Freitag, März 02, 2007

Zufallskinder

Thomas war ein Bekannter. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Man sollte Unterschiede machen können, zwischen Bekannten und Freunden. Das ist meine Meinung. Nun, ich hatte Thomas schon eine Weile nicht mehr gesehen und das auch gar nicht schlimm gefunden, eben, weil er ja nur ein Bekannter war und Jahre schneller verstreichen, als man sich das vorstellen mag.

Als an dem Morgen, der eigentlich ein Mittag war, Daniel anrief und meinte, Thomas sei wieder da, aus München, und wir sollten ihn doch besuchen fahren, dachte ich für einen kurzen Moment darüber nach, wie es wohl in München sei. Ich kannte Thomas über Daniel. Die beiden waren Freunde, sozusagen. An jenem Tag ging es wohl eher um meine Fahrerdienste, als um meine Anwesenheit. Daniel hatte kein Auto. Ich sagte zu.

In der Stadt, in der früher einmal viel Metall verarbeitet wurde und die mittlerweile nur noch ziemlich hässlich war, stiegen wir aus dem Auto in den Regen und von dort unter das Vordach des grauen Hauses, in dem Thomas' Eltern wohnten.

Thomas öffnete und in der Küche saß die Familie um den Tisch und erzählte. Ich schüttelte Hände von Menschen, die ich nicht kannte, die mich aber trotzdem zum Abendessen einluden. Ich lehnte ab, weil es bis dahin noch lang dauern würde und ich nicht vorhatte, wirklich lang zu bleiben. Daniel tat es mir gleich.

Unter den vielen geschüttelten Händen waren auch jene des Mädchens, dass uns als Freundin von Thomas vorgestellt wurde. Die beiden kannten sich seit vier Monaten, darum hatte ich sie noch nie gesehen. Als wir uns in das alte Kinderzimmer von Thomas zurückzogen, hockte sie sich auf das Bett und verschwand mit angezogenen Beinen unter der Decke. Ich setzte mich in einen Sessel, weil ich gern in Sesseln sitze und Daniel und Thomas nahmen Platz auf der alten Couch.

Das Zimmer war ein seltsamer Ort und ich fragte mich, ob es wohl schon damals so ausgesehen hatte, als Thomas noch hier gewohnt hatte. All die schweren Möbel aus dunklem Holz in dem finsteren Zimmer in einer Stadt, deren Sonnentage schnell gezählt waren. Aber das lag möglicherweise auch nur daran, dass ich andere Räume immer seltsam finde, weil ich nichts mit ihnen verbinde, oder an der Tatsache, dass es wirklich sehr dunkel war, da die Jalousien geschlossen waren.

Ich wusste auch nicht, warum ich mit Thomas nie so wirklich warm geworden war. Ich meine, eigentlich hätte das schon gehen müssen, irgendwie. Hatte sich halt nicht ergeben. Vielleicht waren wir zu verschieden, vielleicht war es Zufall. In jedem Fall aber war es in Ordnung, wie es war.

Thomas hatte sich verändert, seit ich ihn das letzte Mal sah. Das mochte damit zusammenhängen, dass er irgendwann beschlossen hat, seinem Leben damit einen neuen Sinn zu geben, indem er den Buddhismus als seine neue Religion annahm. Als Daniel mir vom Schwedenurlaub mit Thomas erzählte, im letzten Sommer, als er von Morgenmeditationen sprach und all den neuen Ansichten, da habe ich gewusst, dass Thomas ein Bekannter bleiben würde.

Da saßen wir also. Vier Leute, die mir in diesem Moment so seltsam zusammengewürfelt vorkamen, dass ich es beinahe toll fand. Thomas und Daniel begeisterten sich gegenseitig mit den Geschichten aus dem Schwedenurlaub im Vorjahr, die ich alle schon kannte, weil sich nie jemand merken konnte, wem er was genau erzählt hatte.

Die Freundin von Thomas saß noch immer Bett mit der Decke über den angezogenen Beinen und sagte kein Wort. Natürlich wird man jetzt denken, dass sie sehr schüchtern war und das mochte auch so sein, denn das wäre ich sicher auch gewesen, an ihrer Stelle. Vielleicht war es aber auch deshalb, weil sie ihr Deutsch nicht mochte, auch wenn es dafür gar keinen Grund gab, weil sie schon sehr gut sprach, für die kurze Zeit, die sie hier war.

Ich saß schweigend in dem Sessel aus braunem, abgewetztem Leder und besah mir die Gegenstände, die in der massiven, dunklen Vitrine standen und wunderte mich darüber, was aus Kinderzimmern wird, die verlassen wurden, als Thomas aufsprang und meinte, er wolle uns etwas zeigen.

Er löschte das Licht und ulkte dann kurz mit seltsamen Geräuschen herum, während es um uns schwarze Nacht war. Dann leuchtete etwas im Dunkel und es dauerte ein wenig, bis ich schließlich begriff, dass es eine von diesen Kugeln waren, die violett leuchten und aus deren Zentrum blaue Blitze an den Rand der Kugel zucken, die dem Finger folgen, wenn man die Kugel berührt. So eine Kugel, wie sie im Fernsehen gezeigt wird, wenn man etwas unglaublich mysteriöses darstellen möchte.

Thomas hatte sich eben so eine Kugel gekauft. In der Tat fiel mir ein, dass ich bei meiner Rauminspektion auch eine Schachtel habe herumliegen sehen, in die diese Kugel wohl ziemlich gut gepasst haben musste. Weil Thomas sich freute wie ein kleines Kind, freuten wir uns auch, berührten die Kugel und ließen die blauen Blitze nach unseren Finger jagen.

Als er das Licht wieder einschaltete, meinte Thomas, dass es da ja noch etwas gebe. Dann kramte er sein Portemonnaie aus der Gesäßtasche hervor und zog ein quadratisches Stück Papier heraus. Er faltete es sorgsam auseinander, strich es glatt und reichte es Daniel. Daniel sah auf das Papier, dann wieder zu Thomas, dann wieder auf das Papier.

Ich konnte von Weitem nur erkennen, dass auf dem Blatt viel gedrucktes Schwarz war, in der Mitte grau, am Rand ein paar Zahlen und Buchstaben. War er geblitzt worden? Es dauerte eine halbe Sekunde, bis es dämmerte und ich das von Ferne Gesehene mit der besonderen Sorgfalt zusammenbrachte, in der Thomas das Blatt auseinandergefaltet hatte. Ich blickte in seine Augen.

Wir bekommen ein Baby, sagte Thomas. Ich muss für einen Moment ziemlich dämlich ausgesehen haben, bevor ich meine Sprache wieder fand und mich erkundigte, ob er vorhabe, mich zu verarschen. Das ist sicher nicht das, was man in so einem Moment sagen sollte, aber es war ganz einfach reichlich unerwartet, dass sich meine bisher baby- und hochzeitslose Welt von mir verabschiedete.

Ich sah Thomas an. Dann blickte ich kurz zu seiner Freundin, deren Namen ich mir nicht gleich habe merken können. Daniel versuchte, die Situation zu retten, indem er sagte, dass er das schon sehr cool fände. Dann war es erst einmal für eine Weile still.

Irgendwann fing Daniel wieder an, und Worte wie "tolle Überraschung" und "großartig" drangen an mein Ohr, aber ich hörte gar nicht richtig hin. Es war seltsam. Ich wachte erst wieder auf, als Daniel sich irgendwann erkundigte, ob sie denn überhaupt vorhatten, das Kind zu bekommen.

Als Thomas sagte, dass das ja wohl klar sei und das Mädchen mit den angezogenen Beinen meinte, dass das ja wohl noch nicht so klar sei, wurde die Stille greifbar. Sekunden wurden zu Minuten.

Vater. Ich versuchte, mir das vorzustellen, aber es konnte mir nicht recht gelingen. Wie denn auch. Ich war ja noch immer ein Junge. Einer von denen, die in den Tag hineinleben, ohne Termine, ohne Ziele. Einer von denen, die noch Comics schauen und über großen Unsinn lachen können. Einer von denen, die die Stunden mit offenen Augen verträumen. Einer von denen, der sich wünscht, er würde woanders große Taten vollbringen. Einer von denen, der jetzt die Klamotten trägt, die er als sechzehnjähriger immer tragen wollte. Einer von denen, der noch immer Cola bestellt, anstatt Bier. Vater? Nein. Das nicht.

Thomas setzte sich zu seiner Freundin auf das Bett und meinte, dass es da ja noch einiges zu bereden gäbe und wir stammelten uns durch die nächste Viertelstunde, in denen Thomas einen Teil seiner groben Pläne erklärte: Raus aus München, wieder zurück, in die Gegend, wegen seinen Eltern, die sich ja kümmern könnten, um das Kind, weil ihre Eltern das ja nicht können, da im Süden, an der Elfenbeinküste. Dann meinte er noch, dass es wohl Zufall war, die Sache mit dem Kind. Ein Zufallskind.

Das Gespräch brach irgendwann in sich zusammen, weil niemand sich traute, ein anderes Thema anzuschneiden und schließlich war es Daniel, der unter einem Vorwand unseren Aufbruch beschloss. Ich wünschte dem Mädchen, dass mit angezogenen Beinen unter der Bettdecke in dem Raum mit den dunklen Möbeln sitzen blieb, viel Glück für die nächste Zeit und das Gleiche auch noch einmal für Thomas unter dem Vordach des grauen Hauses seiner Eltern, auf das der Regen trommelte.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

darf ich nach dem alter des elternpaares fragen?

Nils hat gesagt…

gern darfst du und als antwort würdest du dann bekommen, dass sie beide so anfang bis mitte zwanzig sind und dass das ja eigentlich vollkommen in ordnung ist und das kind es sicher gut haben wird, aber dass das ja auch gar nicht der grund war, die geschichte zu schreiben.

Anonym hat gesagt…

: )
war nur die allererste frage, die mir ins hirn geschossen ist. vielleicht, weil ich immer ein bisschen fürchte, das um mich herum alle bekannten plötzlich anfangen könnten, kinder zu bekommen, zu heiraten, häuser zu bauen. und weil ich dann über mein leben nachdenken müsste und die zeit, die vergangen ist. und die zeit, die noch vor mir liegt.

Nils hat gesagt…

klar.
ein freund plant bereits jetzt in einjahresschritten seine hochzeit, das haus und dann das kind. das ist schon fast pervers präzise.

vermutlich habe ich glück mich in einer relativ juvelinen umgebung ohne allzu viele langjahresbeziehungen zu bewegen. da müssen dann schon zufallskinder ran.

sonst ist verzweifeln aber ein fehler, denn meist sind die dinge gerade so richtig, wie sie sind.