Dienstag, März 06, 2007

Good Morning, Captain

Ei. Heut wird ein Einstieg schwer. Versuchen wir, das mal nachzuvollziehen, wie ich mir das so gedacht habe. Also, aufgepasst.

Neulich, es muss Nacht gewesen sein, da in den letzten Wochen ausschließlich Nacht ist, und ich sitze so da und denke daran, wie es wohl wäre, an meiner Diplomarbeit zu schreiben und beobachte meine Hand, wie sie, als Mauszeiger verkleidet, mit Sensationsgeschwindigkeit durch das Internet saust und meine Augen überfliegen ständig irgendwelche Texte, die aber nie wirklich dort ankommen, wo sie sollten und sie schauen auf Bilder, die irgendwo im Sehnerv verschwinden, als ich irgendwann merke, dass ich in einem dieser Internetforen gelandet bin, in dem sich viele traurige Menschen gegenseitig Gedichte darüber schreiben, wie traurig sie gerade sind und warum das so ist und wie des Lebens harte Hand nach ihnen greifen und sie zerdrücken will.

Da ist mir aufgefallen, dass ich mir gar nichts aus Lyrik mache. Das ich nichts damit anfangen kann, all diesen wuseligen Zeilen, deren Zusammenhang nur der kennen kann, der sie einst geschrieben. Dass das einmal anders war, beweisen weißknittrige Blätter, auf denen sich in der Krakelschrift eines Fünfzehnjährigen verfasste Verse verlieren. Oder bewiesen, denn ich habe keine Ahnung, ob es die noch gibt. Das war also wohl mal anders. Was war geschehen. Und während ich so darüber nachgrübelte, warum in den Regalen neben Bild- nicht auch Gedichtbände stehen, da Begann der schuldzuweisende Finger in meinem Kopf auf einmal deutlich in eine Richtung zu zeigen. Das kann er ganz gut, das mit dem Zeigen. Immer schön weit weg.

Und der Finger zeigte auf die Schule und auf die anachronistischen Lehrer und ihre Leidenschaft für jene Poeten, ob deutsch oder englisch, deren Freundeskreis ausschließlich aus Rotwein, einer Neurose und Vollmond bestand. Namen weiß ich nicht mehr, Namen sind Schall und Rauch. So saßen wir also da, in der Klasse, und quälten uns durch Texte, bei denen man jedes zweite Wort in staubigen Gewölben hätte nachschlagen müssen.

Dabei waren unsere Herzen wie trockenes Stroh. Es hätte eines Wortes, oder eines guten Satzes bedurft und wir wären entflammt gewesen, wären auf Tische gesprungen und hätten laut „O Captain! My Captain!“ gerufen, hätten zitiert, protestiert, diskutiert und uns am Werken der großen Meister und an unseren eigenen Leben berauscht.

Statt dem rettenden Funken gab es stinkende Gülle. Ein Gedicht zu besprechen bedeutete, das Gedicht in viele große „X“ zu übersetzen. Jeweils ein „X“ pro Silbe. Auf jene „X“, deren jeweilige Silbenentsprechung dann im Gedicht betont wurde, war ein Strich zu machen. Gleichzeitig war es unabdingbar, die verschiedenen, sich reimenden Wörter mit Buchstaben zu kennzeichnen. Daraus ergab sich dann die „Form“ des Gedichts, die es zu beschreiben galt.

Gelernt hatte ich dabei nichts. Denn ich weiß bis heute noch nicht, was Jambus, Trochäus, Daktylus oder Anapäst sind. Das wurde dann zwar auch abgefragt, uns aber nie erklärt, weil die tumben Sitzenbleiber mit Halbwissen aus dem nun wiederholten Vorjahr glänzten und der Lehrer einen Haken ins Curriculum hinter „Jambus“ setzte.

Der Captain kam später. Er durchmaß die Klasse raschen Schrittes und stellte sich dort auf, wo normalerweise Lehrer stehen: vor der Tafel. Dabei sah er nicht aus wie ein Lehrer und der CD-Player in seiner Hand ließ diesen Schluss in noch weitere ferne Rücken, als es das breite Grinsen auf seinem Gesicht ohnehin schon tat. Als er dann noch in der Lage schien, den seit der Anschaffung durch die Schule noch originalverschweißten CD-Player zu bedienen, wurde es still. Dann wurde es wieder laut:


Während die Musik spielte, verteilte er Songtexte, die auf braunem Umweltpapier gedruckt waren und nach Schulkopierer rochen. Als die Musik fertig war, da fragte er, was wir davon hielten und wie das denn wohl gemeint wäre und wie das bei uns so sei und wer wir seien und was uns ausmachen würde. Als die lang erprobte Stille der Klasse vom Pausengong in lautes Gemurmel verwandelt wurde, stand ich vorn am Lehrerpult und fragte, ob ich mir die CD ausleihen dürfe. So lernte ich Achim Schröter kennen, den neuen Referendar für Englisch und Deutsch an unserer Schule, der eigentlich Joachim Schröter hieß, sich aber stets in der Kurzform vorstellte.

Er war es dann auch, der mir eines Tages aus dem Lehrerzimmer heraus einen Haufen CDs in die Hand drückte und meinte, dass das hier ein Anfang für einen eigenen Musikgeschmack sei und er war der, der mit uns über das Schüsse und die Toten an der Highschool irgendwo im fernen Columbine sprach, was all die anderen Lehrer vermieden. Er ließ uns Bücher lesen, die nach der Erstürmung der Bastille gedruckt waren, er nahm Songs an Stelle von Shakespeare, Musikvideos an Stelle der englischsprachigen Morgennachrichten. Er gründete den „Conversation Club“, er nahm sich Zeit, er hörte zu, er machte Neugierig und für ihn waren wir nicht die sonst übliche Kuhherde, an die es Wissen zu verfüttern galt.

Ich erinnerte mich auch an das Radioheadkonzert, zu dem er mich mitnahm, in Nimwegen, im Zirkuszelt. Wie wir bei einer Schale holländischer Pommes im geöffneten Kofferraum des Polos saßen und mir für einen Moment war, als wäre er ein großer Bruder, den ich nie hatte.

Er war dann irgendwann nicht mehr an unserer Schule, weil er nach dem Referendariat nicht übernommen wurde und weil die Dinge einmal so sind, wie sie sind, hörte ich nichts mehr von ihm. Jahre später sah ich ihn auf einem Konzert wieder und wir plauderten und ich hörte, wie er an irgendeiner Berufsschule gelandet war, an der er mit der Zeit dazu überging, Lückentexte zu verteilen und Bücher mit verteilten Rollen vorlesen zu lassen. So ist das wohl bei vielen Lehrern, irgendwann.

So. Jetzt bin ich aber abgeschweift. Es ging doch um Gedichte, Lyrik, Poesie richtig? Nun, weil mir mal irgendwer erklärt hat, dass es meist ungemein clever ist, wenn man am Ende von Texten wieder Bezug auf den Anfang nimmt, weil sich der Leser dann belohnt fühlt, den ganzen Mist in der Mitte überstanden zu haben, soll es nun mit Gedichten zu Ende gehen.

Ich saß also noch immer am Computer, die Gedanken in der Vergangenheit, während die Maus auf dem Bildschirm herumsauste und die Augen Texte und Bilder überflogen. Irgendwann bin ich dann wohl bei Videos gelandet, weil man sich Videos ja auch dann ansehen kann, wenn man sonstwodran denkt, und da habe ich Poesie gefunden, die mir gefiel:

Und als ich dann herausfand, dass es da noch mehr solcher Videos gab, war ich begeistert. Dann erfuhr ich, dass dieser Mensch, also dieser Billy Collins, noch so einige Gedichte geschrieben hat und dass andere Leute die auch toll finden und dass er dafür sogar mal richtig ausgezeichnet wurde. Da war ich stolz auf mich, weil es dann ja doch nicht Stimmen konnte, was ich dachte, anfangs, dass ich mir da nichts draus mache, aus Gedichten.

Oh und Achim, wenn du das hier liest: Vielen Dank, Captain!

2 Kommentare:

weeping.rock hat gesagt…

Du schreibst schoen. Deswegen mag ich das Ende. Da kannst du stolz auf dich sein. Und auch die Geschicht ueber den Lehrer ist toll. Am Anfang sind viele Lehrer noch richtig toll, nur die wenigsten halten sich an ihren Idealen fest, traurig.

Und wie meinst du das mit Island? Ist es ueberschaetzt? Ich weisz nicht. Eigentlich ja schon. Zumindest das "Hippe und Coole", wie ich finde, ist manchmal nicht ganz so hip und cool. Zb das Nachtleben. Heilige Scheisze.

Nils hat gesagt…

Mh, ich dachte oder hoffte, dass es bei ihm anders laufen würde. Aber immerhin habe ich die "unverbrauchte" Anfangsphase erlebt...

Island? Da ging es mir darum, dass ich Leute kenne, die all diese Länder (Island, Finnland, Norwegen blablabla) auf ihrer Superfanliste der Länder haben, die in jedem Fall besser sind als das hier und wo sie später unbedingt Leben möchten, während ich denke, dass es sich in vielen Ländern gleich gut oder schlecht lebt und dass es am Ende nicht darauf ankommt, wo man ist, sondern wer man ist.

Du solltest dich über das Nachtleben nicht beschweren, immerhin scheint es, als habest du in den letzten Monaten mehr Konzerte besucht, als ich in meinem Leben...