Freitag, Mai 23, 2008

Alles albern

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Der Mann am NASA-Space-Flight-Simulator lehnte an einem Pfosten und rauchte. Ich war mir ziemlich sicher, dass man bei der NASA nicht rauchen dürfte, wenn man neben einen Space-Flight-Simulator an einem Pfosten lehnt, aber das schien den Mann nicht weiter zu kümmern. Ebenso wenig schien er sich dafür zu interessieren, dass auf den kleinen Röhrenmonitoren, die Einblicke in das Innere der in großen Lettern angepriesenen Simulation/Attraktion bieten sollten, keineswegs ein Weltraumflug zu sehen war, sondern eine Art Schienenfahrzeug, dass durch pixelige Stollen stürzte und dabei eine Grafik offenbar werden ließ, die ich seit meinem ersten, von eigenem Geld erstandenen, Pentium 120 nicht mehr gesehen hatte. Kirmes war ein einziger Anachronismus.

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Wie die Mücken, die sich zu Dutzenden um die Beleuchtung des vermeintlichen Raumgefährts versammelten, kamen auch jedes Jahr wieder die Menschen auf das Kirmesgelände, die man sonst nirgends in diesen Mengen und Extremen zu Gesicht bekommen konnte. Ich glaubte, diese Stadt zu kennen und dennoch haute es mich immer wieder um, während ich mit der Masse ging. Kirmes war eine einzige Freakshow.

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Wir lachten über die vierzehnjährigen Mädchen, die sich auftakelten, als wollten sie zum Bewerbungsgespräch bei einem Luden. Wir lachten über die achtzehnjährigen Mädchen, bei denen man sich nicht sicher sein konnte, ob sie schon lange einen Luden hatten. Wir lachten über die vierzehnjährigen Jungen, die ihre Haare zum Vokuhila geschnitten trugen, die in den Nacken herabhängenden Strähnen entweder blond oder rot gefärbt hatten und in kleinen, gleichfrisierten Rudeln umherliefen. Wir lachten über die achtzehnjährigen Jungen, die hinter dem Autoskooter eine Schlägerei anfingen. Wir lachten über Hausfrauen in Trainingshose und Schlabbershirt, wir lachten über Männer mit Schnäuzern und schlecht gestochenen Tätowierungen. Kirmes war ein einziger Zoo.

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Wir blieben bei den Losverkäufern stehen, weil sie ihre Sprüche so aufsagten, dass ihre leiernden Stimmen klangen, als habe man sie vor langer Zeit auf Tonband aufgezeichnet und danach einige Male zu oft abgespielt. Wir blieben bei der Kindereisenbahn stehen, die zu dieser Zeit nicht mehr besucht wurde und betrachteten den Mann, der auf der einer roten Miniaturdampflok saß und finster in die Welt blickte, als sei er sein eigenes Fahndungsfoto. Wir blieben bei dem Stand stehen, an dem man Gummifrösche auf einer Wippe mit einem Hammer in Metallseerosenblüten schlagen muss und wünschten uns, einer der Frösche würde das Froschsortierpärchen im Inneren des kreisrunden Standes treffen, oder doch wenigstens nassspritzen. Kirmes war ein einziger Zirkus.

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Wir setzten uns und sahen in die Menge. Irgendwann formulierte ich die Theorie, nach der sich Menschen meist einen Partner aussuchen, der ihnen möglichst ähnlich sieht und wir fanden in der Menge mehr und mehr Beispiele für diesen optischen Inzest und verglichen Augen und Nasen und Münder und Körper und Kleidung und Gangarten im Sekundentakt. Und während wir so in die Gesichter der Menschen sahen, fiel uns auf, dass man bei niemandem sagen konnte, ob er Spaß hatte, bei seinem Gang über die Kirmes. Niemand schien wirklich glücklich. Warum waren die vielen Menschen hier? Kirmes war ein einziges Sozialexperiment.

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Während wir saßen, beobachtete ich einen jungen Mann, der ein Blech wienerte, auf dem vor kurzem noch Süßkram gelegen haben musste. Und er wienerte lang und ausgiebig und gründlich und mir gefiel das sehr und mir kam der Gedanke, ob es so gut sei, sich ständig über alles und jeden lustig zu machen und ob man es nicht auf den Versuch ankommen lassen müsste, die Dinge für das zu mögen, was sie sind. Dann kam das Feuerwerk. Kirmes war vorbei.

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