Dienstag, Januar 30, 2007

Kapitel VI: Inferno

„Eeeeey!“ Es kling beschissen, wenn ich schreie. Warum will ich überhaupt eingreifen? Ich will nicht kämpfen. Ich kann nicht einmal kämpfen. Geprügelt hab ich mich noch nie, also nichts, was über das energische Festhalten der Extremitäten hinausgehen würde. Trotzdem schreie ich, weil Johannes auf dem Boden liegt, weil er sich mit dem Schwarzhaarigen wohl den Falschen ausgesucht hat, weil uns etwas verbindet, was, wenn schon keine Freundschaft mehr, doch wenigstens eine gemeinsame Vergangenheit ist. Eine gute Vergangenheit, im Groben und Ganzen. Das ist mehr, als ich über viele andere Menschen sagen kann. Das ist mehr, als ich mir in diesem Moment eingestehen möchte. Aber das ist vielleicht auch ein Grund zu kämpfen.

Meine Stimmbänder nehmen mir die Entscheidung ab. Meine Beine tun den nächsten Schritt. Heraus aus dem Halbkreis der Kneipengänger, die ihre Zuschauerrolle voll ausfüllen. Mich ekelt die Faszination in ihren Augen, die Münder bereit zur Anfeuerung. Sogar der neue Wirt ist hinter der Bar hervorgekommen und freut sich auf ein Spektakel. Was für ein Ort. Es bleibt bei einem Schritt, dann werden meine Arme von Hinten gegriffen und auf den Rücken gedreht.

„Nee, du bleibst hier!“
Ein grobschlächtiger Brocken, der vor einer Sekunde noch neben mir stand, nimmt mich nun in den Schwitzkasten.
„Einer gegen Einen. Kapiert?“
Ein merkwürdiges Verständnis von Fairness, doch mir bleibt keine Zeit, mich zu wundern, denn ich muss mit Entsetzen feststellen, dass der Breitschultrige von Johannes ablässt und sich mir zuwendet. Immerhin ein Teilerfolg. Ich versuche dem Griff des Brockens zu entrinnen, doch er packt mich nur noch stärker. Johannes Gegner scheint nun meiner zu werden, denn ich genieße nun seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Während er näher kommt, versuche ich weiter, mich aus den baumdicken Armen meines Hintermannes zu winden. Zwecklos. Wo sind Zeitlupeneffekte, wenn man sie braucht?

„Wolltest von hinten an mich ran, hä?“
Er tritt näher an mich heran. Sein Atem stinkt nach Alkohol und Zigaretten. Ich wende den Kopf ab.
„Schau mich an, wenn ich mit dir rede!“
Es widert mich an. Dennoch schaue ich ihm in seine verquollenen Augen. Meine Arme und Beine kribbeln. Mein Magen möchte seinen Inhalt möglichst schnell loswerden. Am Besten nach oben. Ich habe Angst.

Die Faust trifft wie eine Dampframme. Dabei verfehlt sie nur knapp das Brustbein, trifft stattdessen in den Bauch. Ich sacke zusammen. Der Brocken lässt mich endlich los. Es tut nicht weh. Ich kann nicht mehr Atmen. Mein Magen gibt nun endgültig auf und vor meinen Augen bildet sich ein kleiner See aus Erbrochenem. Jetzt tut es weh. Viel schlimmer ist aber das Gefühl der Ohnmacht und der Ungerechtigkeit. Tränen schießen in meine Augen.

Ich schaue kurz nach oben und erkenne erleichtert, dass sich Mann und Faust wieder um Johannes kümmern wollen. Erleichtert? Johannes! Ich versuche aufzustehen, aber meine Knie geben nach und ich lande mit dem Gesicht in meiner eigenen Kotze. Vom Boden aus kann ich sehen, wie der Mann stehen geblieben ist. Dann ist da noch ein zweites Paar Beine. Johannes!

Er hat sich aufgerappelt und steht wieder in dieser seltsamen Bruce Lee Pose herum, wie er das eben schon tat. Aus einer Platzwunde über der Augenbraue sickert dunkles Blut über sein Gesicht. Er hat diesen wilden, entschlossenen Blick in den Augen, den ich noch von früher kenne. Das war immer der letzte Blick, bevor er die Kontrolle verlor. „Unruhe“, nannte es die schrullige Kinderpsychologin, zu der Johannes alle zwei Wochen gehen musste um sich an Schaumstoffklötzen abzureagieren und dämliche Bilder zu malen. Irgendwann hat er dann die Schaumstoffklötze gegen Sandsäcke eingetauscht und…

Als er Anlauf nimmt, weiß ich, dass es nicht gut um meinen Peiniger bestellt ist. Dreizehn Jahre Kickboxen stecken in dem Bein, das ihn nun mit voller Wucht unter dem Kinn erwischt. Knack. Als sein Kiefer bricht, seufzt der Mann laut auf, bevor er wie ein verwundetes Tier versucht, sich auf Johannes zu stürzen. Der weicht aus und lässt sein gestrecktes rechtes Bein von hinten in die Kniekehlen des nun taumelnden Mannes stoßen, worauf dieser zusammenbricht.

Das Publikum scheint über die Wendung des Kampfes begeistert und Stimmen rufen Johannes zu, dass er den „Alten“ jetzt „kaltmachen“ solle und all so etwas. Wie der „Alte“ wieder auf die Beine gekommen ist, vermag ich nicht zu sagen, aber das er Schmerzen hat, sieht man ihm an. Wirren Blickes sucht er sein Heil in einem weiteren Angriff. Die Faust trifft wieder nur Luft und Johannes nutzt den ausgestreckten Arm als Hebel für einen Schulterwurf. Der schwere Körper klatscht laut auf den Fliesenboden. Johannes ist sofort über ihm und zieht ihn wieder hoch.

„Komm doch, komm doch! Mach doch! Schlag doch! Komm Opa!“
Ich weiß nicht, was Johannes da tut, ich weiß nur, dass ich ihn davon abhalten muss, eine größere Dummheit zu begehen. Der Mann kniet vor ihm und blickt durch gebrochene Augen ins Leere. Meine Beine wollen mich endlich wieder tragen. Langsam taumle ich auf die Beiden zu.
„Hey!“
Ich hebe die Hand und für einen Wimpernschlag trifft mein Blick den von Johannes. Ich kann nicht sagen, ob er mich überhaupt erkennt. Im nächsten Moment werde ich von zwei Bärenpranken zurückgerissen.

„Einer gegen Einen!“ Grunzt eine Stimme. Dann werde ich nach hinten geschleudert und schlage hart gegen einen Tisch. Noch einmal rapple ich mich auf und versuche, mich auf Johannes zuzubewegen. Wieder werde ich von Bärenpranken durch den Raum geworfen. Diesmal mit Nachdruck.
„Du verschwindest jetzt besser. Oder ich lass dich verschwinden.“

„Mach das nicht!“
Ich rufe laut, aber meine Worte gehen im Lärm der Stimmen unter, die alle das Gegenteil fordern. In meinem Kopf brennt es. Ich renne hinaus.

Ich zittere am ganzen Körper, als ich Minuten später hinter den beiden Securitygorillas das Gebäude wieder betrete. Mir wird übel bei dem Gedanken an den Verrat, den ich gerade begehe. Zurück am Ort des Geschehens kann ich meinen Brechreiz nur schwer unterdrücken. Ich komme zu spät. Johannes sitzt auf der Brust des Mannes, von dessen Gesicht nicht viel mehr als eine teigige Masse übrig ist. Um ihn herum ist alles voller Blut, aus dem nur teilweise kleine weiße Stückchen hervorragen. Zähne.

Es ist sehr still geworden. Niemand schreit, niemand feuert mehr an, niemand redet. Der blutende Mann wimmert leise. Johannes rührt sich nicht. Er sitzt einfach nur da und… ja, er weint. Als die beiden Gorillas an ihn herantreten lässt er sich widerstandslos von ihnen durchsuchen. Handschellen klicken. Der Wirt beteuert auf Nachfrage von einem Gorilla, dass er schon einen Krankenwagen gerufen habe. Wir gehen nach draußen.

Hier sind wir nun also. Ich weiß nicht, ob wir überhaupt jemals Freunde waren, aber es ist die gemeinsame Geschichte, die uns immer noch verbindet. Oder verbunden hat? Wann ist Freundschaft zu Ende? Ab wann hört man auf, einen Menschen zu mögen? Ab wann darf man aufhören?

„Kann ich noch eine rauchen, bevor es losgeht?“
Ich weiß es nicht.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

ach herr rupert, ich muss ja gestehen: ich hatte sie und ihr feines blog schon aufgegeben. dachte, sie wären vielleicht plötzlich in die fänge einer riesenspinne (wahlweise: frau) geraten.

umso schöner, dass sie zurück sind. und ich endlich den höhepunkt ihrer geschichte lesen durfte. es ist eine unglaublich gute geschichte. danke dafür.

fiktion oder realität? ist die einzige frage, die sich mir nun noch stellt.

Nils hat gesagt…

oh. nein. weder riesenspinnen noch frauen kreuzten meine wege. lediglich das zunehmende maß an ereignislosigkeit betrübte mich und verleidete mir das blogschreiben.

im grunde genommen hat sich nicht viel an diesem umstand geändert, darum wünsche ich auch beinahe, diese geschichte wirklich erlebt zu haben.

dankend,
nils