Da ich zur Rückgewinnung meiner abtrünnigen Zielgruppe – ich war doch nur ein paar Tage nicht online – wohl einiges unternehmen muss, gibt es nun die volle Breitseite Campus-Symposium mit Bild und Text. Premium Content, will ich mal meinen. Hochgeladen unter größten Mühen vom Arbeitsplatz, weil heut Freitag ist und ich mal fünfe gerade sein lassen will. Also dann – bitte sehr:
General Jones, der Hauptredner des ersten Tages trifft in wenigen Minuten ein. Polizei und Sicherheitsdienst liefern sich einen geheimen Wettbewerb im grimmigen Dreinschauen.
Die Anweisung, das Automobil des Generals nicht zu fotografieren, schlage ich in den Wind. Ich frage mich nach wie vor, was er dort denn so besonderes dran oder drin hat? Gut, es wird gepanzert sein, aber das machen die diskreten Herrschaften der Spezialfirmen ja so diskret, dass man davon nichts mitbekommt. Ich suche meine Bilder später nach versteckten Raketenwerfern oder Anzeichen eines Erlkönigs ab und bin schwer enttäuscht.
Der General steigt aus und wird von einem kleinen, bebrillten Mann stürmisch begrüßt. Als General von Welt weiß er damit zu beeindrucken, sich aus der Umarmung des Kleinen elegant zu befreien, noch bevor dieser richtig zupacken kann und verschwindet mit drei Schritten ins Zelt…
… wo das Publikum tobt.
Die Rede, in deren Anfang ich für mich keine interessanten Neuheiten entdecken kann, langweilt bald so sehr, dass ich das Zelt verlasse und stattdessen einen professionellen Schuhputzer fotografiere. Meine romantische Vorstellung, mich in Knickerbockern und Ballonmütze mit einem Stapel Zeitungen neben ihn zu stellen und laut „Extrablatt“ zu rufen, wird dadurch gestört, dass der gute Mann Versicherungen verkauft. Eine seltsame Kombination.
Ich werde hereingerufen und bekomme Geleitschutz durch eine beflissene Helferin, die mich zur Pressekonferenz des Generals bringt. Die interessanteste Person in Raum ist das Tonangelmädel vom WDR. Das steht binnen weniger Sekunden, wenigstens für mich, fest.
Die Legosteinsammlung des Generals ist aber auch nicht von schlechten Eltern. Darum trägt er sie auch offen an der Brust.
Aber auch ihm ist langweilig.
Nicht langweilig ist den versammelten Medienvertretern, die sich im Anschluss mit Kampfgebrüll auf einen kurz angebundenen SACEUR stürzen. Es folgen diverse Stunden der Belanglosigkeit, dann ist der erste Tag zu Ende.
Am zweiten Tag fühlen meine Schultern sich an, als seien meine Schulterblätter durch eine Ladung Kies ersetzt worden. Deshalb knackt und knirscht es wohl auch so. Am Eingang bereits reges Treiben, kommen doch viele der Leute, die immerhin 1500€ für eine Zweitageskarte hingelegt haben, nur heute, um Clinton zu sehen. Man hat es ja.
Ich verpasse konsequent alle Redner des Tages. Gott tut es mir gleich. Er schaut lieber von einer Brücke aus zu.
Was er da sieht, wird er nicht gutheißen können, denn ein armer Pizzabäcker wird von der Außenwelt abgeschnitten. Seit drei Tagen keine Pizza verkauft. Schuld daran trägt die Straßensperre, die etwa 300 Meter vor seinem Laden sämtlichen Verkehr abblockt. In einer Gegend ohne Laufkundschaft keine besonders angenehme Situation. So bleibt der Pizzaofen schadenersatzlos kalt. Er tut mir leid.
Ganz im Gegensatz zu der Besatzungsmacht einen Katzensprung entfernt. Man genießt den sonnigen Tag in lustiger Runde und verzehrt Pommes rot-weiß mit Schnitzel. Ich empfehle ihnen Pizza.
Spaß hat auch der Bombenspürhund, der heute in vielen Autos seine Haare lassen darf. Wir nähern uns „B-Time“ und die Aufregung steigt. Sprechfunkgeräte knacken häufiger, Menschen laufen ein wenig schneller, Gespräche werden immer monothematischer und die Bild-Zeitung setzt das Gerücht in die Welt, dass POTUS doch schon längst vor Ort sei.
Dann kommt Bill wirklich. Vorher hat er sich noch für teures Geld (man spricht von 5000€ pro Person) mit zahlreichen wohlhabenden Menschen fotografieren lassen, Attraktionen der Oberklasse.
Die ist auch ganz verzückt, als sich der Mann, der später von vielen als so unglaublich charismatisch beschrieben wird, auf die Bühne begibt.
Nach der Ankündigung, dass er nun erörtern wird, inwiefern diese Hochschule mit dem Kampf gegen Terror in Verbindung steht, schalte ich meine Ohren aus und den Zeigefinger auf Automatik. Unverschämte Fotografen drängen nach vorn, ich bleibe anständig und werde belohnt, indem ich für eine Minute zur Bühne darf, als Bill grad ordentlich gestikuliert.
Ich überlasse die zur Gestik passende Geschichte einmal der Phantasie der Leser und ziehe mich nach zwanzig Minuten als erster Fotograf aus dem Rednerzelt zurück.
Draußen faulenzt die Regie und ich überlege aus Übermut, ob ich Bills Abreise nicht fotografieren sollte, was bei der Ankunft streng verboten war. Das bedeutet eine Stunde warten, in der ich versuche, möglichst unsichtbar zu sein, nachdem mich zwei beleibte Polizeibeamte bereits einmal des Platzes verwiesen. Das geht auch bis fünf Minuten vor den von mir errechneten Abreisezeitpunkt erstaunlich gut, als neben mir ein untersetzter Mann mit Knopf im Ohr auftaucht.
„Junger Mann, sie haben hier nichts verloren!“
- „Aber ich…“
„Fotografieren ist hier ausdrücklich verboten.“
- „Dann sollte man das vorher mal…“
„Es ist besser, wenn sie jetzt gehen.“
-„Ich meine ja nur, dass…“
„Es ist BESSER, wenn sie JETZT gehen. Bitte verlassen sie das Gelände. Danke.“
Sein ohnehin unfreundlicher Blick lässt nun kurz durchscheinen, dass er mir ratz fatz die Nase gebrochen und mich am Boden hat, wenn er denn nur will. Vielen Dank für das Gespräch. Wo ist der Secret Service, wenn man ihn braucht. Ich wäre lieber von smarten Agenten rausgeschmissen worden, als von einem Aushilfssheriff. Ich verlasse das Gelände.
Draußen sitzt ein anderer Sicherheitsmann und hofft, dass alles ganz schnell vorbei ist. Das hoffe ich mittlerweile auch. Später erfahre ich von einem Kollegen – einem wirklich sehr sehr freundlichem Kollegen, dessen besondere Eigenschaften seine Langsamkeit und eine nach außen strahlende Ruhe sind, dass der Sicherheitsdienst ihm gegenüber richtig ausfallend geworden ist, Schimpfworte inklusive.
Ich beobachte aus der Ferne, wie zahlreiche Helferinnen vom Empfang nach draußen stürmen, ihre Kompaktdigitalkameras mit Superzoom zücken und die Abreise des ehemaligen Präsidenten fürs Familienalbum festhalten. Wieder einmal wurde mit zweierlei Maß gemessen und wieder einmal hat das bessere Maß Brüste. Beim nächsten Mal verkleide ich mich als Frau … oder als Gorilla … denn eine Idee, die mich schon die ganze Zeit nicht losgelassen hat, war der Plan, sich unter einen feinen Anzug ein Gorillakostüm zu ziehen. Nach der Sicherheitskontrolle auf der Toilette den Anzug schnell abgelegt und die Veranstaltung als Primat betreten. Ich wüsste zu gern, wie der Sicherheitsdienst gegen einen Affen mit Eintrittskarte und Sicherheitsausweis zu einer 1500€-Veranstaltung vorgeht. Ob die einen vor die Tür setzen, wenn man sich brav ins Publikum setzt? Ach, meine subversiven Träumereien werde ich ohnehin nie umsetzen.
Gepanzerte Limousinen rauschen mit hohem Tempo an mir vorbei. Das war es dann. Die Menschen strömen kurze Zeit später zu gesponserten Schuttleaudis, obgleich noch Redner folgen. Man hat es ja halt. Nach drei Stunden ist dann alles leer und es bleiben zwei weiße Riesenzelte auf einem planierten Parkplatz als Zeugnis einer Veranstaltung, von der ich nicht sagen kann, was sie mir gebracht hat.